Die Talente werden ihrem Ruf gerecht

Schwimmcheftrainer Henning Lambertz sieht nach den Deutschen Meisterschaften seinen Reformweg bestätigt

  • Klaus Weise
  • Lesedauer: 5 Min.

Vier Tage 127. Deutsche Meisterschaften im Schwimmen in Berlin, das waren vier Tage weitgehende mediale Unaufgeregtheit, die auch durch die Leistungen nur sehr partiell »gestört« wurde. Rekorde gab es zwar jede Menge, Bestzeiten auch - jedenfalls in den diversen Altersklassen. Die Trainer kritzelten eifrig in ihre Notizblöcke, notierten Zwischen- und Endzeiten, machten dahinter Ausrufe- oder Fragezeichen. Eine nationale Bestmarke blieb bis zum finalen Sonntag ebenso aus, wie - man ist geneigt zu sagen selbstverständlich - kontinentale oder globale Rekorde auch. Das muss kein Makel sein, denn die waren für den Moment gar nicht gefordert. Auch eine endgültige Beantwortung der Frage, wo Deutschland generell im Weltschwimmsport steht, welche Fortschritte es zuletzt gemacht hat und auf welchen Wegen man wieder in den Dunstkreis echter Spitzenleistungen kommen will, kann mit diesem Championat nicht geliefert werden. Aber gestellt werden müssen die Fragen schon, denn sind sie im Kern die nach der Sinnstiftung des steuergeldintensiven Ringens um Medaillen im internationalen Wettbewerb.

Das tat denn quasi stellvertretend Markus Deibler, im Vorjahr an gleicher Stelle noch Deutscher Meister über 200 Meter Lagen und später im Dezember sogar mit Weltrekord Kurzbahn-Champion in Doha, um fünf Tage danach überraschend zurückzutreten. Einstweilen betreibt der gerade mal 25-jährige eine Eisdiele in St. Pauli und war in Berlin quasi Überraschungsgast. Nicht um als »reuiger Rücktrittssünder«, sondern als Zuschauer scheinbar sogar etwas staunend auf sein früheres sportliches Tun zu blicken, das ihn zu fast hundert Prozent vereinnahmt hatte. Aktuell braucht er Wasser nur zur Eisherstellung. Aus seiner Erfahrung als Aktiver aber lieferte er reichlich Stoff zum Nachdenken. »Deutschland muss sich seiner Haltung zum Spitzensport klar werden. Entweder man will Medaillen, dann muss dies entsprechend gefördert werden. Oder man will das nicht, weil es einem zu teuer oder sonst etwas ist, dann darf man auch nicht über ausbleibende Medaillen weinen.«

Nach seinem Dafürhalten gehört Deutschland in der Welt nicht zu den Top 30 der Sportförderung. Bleibe man bei solch schmaler Unterstützung, wo zumeist allein private Sponsoren noch eine gewisse Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten, dann sei mittel- und langfristig kaum damit zu rechnen, dass der Zug nach oben zu erreichen ist.

Genau den aber will der Anfang 2013 angetretene Chefbundestrainer Henning Lambertz besteigen, der freilich Realist genug ist, in Zeiträumen zu denken, die frühestens ab 2020 echte Resultate zeitigen. Bei der WM im Sommer in Kasan ist damit noch nicht zu rechnen. Das haben auch die Ergebnisse der aktuellen DM bestätigt.

Die durch ihre Vorjahresresultate bereits fix für WM-Team gesetzten Paul Biedermann, Brust-Europameister Marco Koch und Steffen Deibler (krank in Berlin nicht am Start) trainieren für den Jahreshöhepunkt nach individuell angepassten Plänen - sie mussten oder konnten jetzt keine Top-Zeiten schwimmen.

Daneben hatten sich nach drei Wettkampftagen und bei noch ausstehenden je fünf Einzelentscheidungen am Sonntag 13 Männer mit doppelt erfüllter Normzeit (Vorlauf und Finale) und vierzehn Frauen in die Notizbücher von Lambertz geschwommen - sie sind »vorqualifiziert«, denn der DM-Auftritt muss bei einem weiteren Wettkampf und mit dem Pflichtstart bei den German Open im Juli in Essen bestätigt werden. Lambertz selbst gab sich »recht zufrieden«. Es habe vor allem bei den jungen Aktiven einige beachtliche Leistungsschübe gegeben, auch auf den langen Strecken, die zuletzt stets Sorgenkind im DSV waren. Liest man sich die Meister- und die »Normerfüller«-Liste durch, stößt man auf einige Namen, die bisher noch nicht unbedingt sehr geläufig waren: Jacob Heidtmann (Elmshorn) als 400-m-Lagen-Meister mit der zweitbesten Zeit des Jahres in der Welt, Carl-Louis Schwarz (Potsdam/50 m Brust), Florian Vogel (München), 400-m-Freistil-Sieger oder Ruwen Straub (Würzburg), Zweiter und Dritter über 1500 und 800 Meter Freistil, sind solche Männer-Beispiele. Johanna Roas (München/50 m Rücken)Laura Simon (Mainz/50 m Brust) oder Sonnele Öztürk (Spandau 04/200 m Rücken) einige bei den Frauen.

Für Lambertz ist die DM in gewisser Weise ein »Arbeitschampionat«. Kein Spektakel für die Öffentlichkeit, »sondern ein Zwischenschritt auf dem Weg nach Rio, oder anders gesagt: eine Etappe, nicht das Endprojekt«. Soll heißen, es bleibt jede Menge Arbeit, man hat gerade erst angefangen. Irgendwann könne er sich auch mal vorstellen, eine nationale Schwimm-Meisterschaft auch »viel mehr zu inszenieren, so dass sie auch für quasi nichtbeteiligte Zuschauer ein Erlebnis wird«. Schließlich sei Sport in der modernen Gesellschaft ja kein Selbstzweck, sondern auch ein Teil der Unterhaltungsbranche und eben deshalb beim Publikum so geschätzt. Dass Top-Leistungen als immanenter Bestandteil dazu gehören, ist eine selbstverständliche Voraussetzung. Lambertz ist 2013 deshalb mit einem ehrgeizigen Aufbauplan angetreten, von dem inzwischen mit Perspektivteam, Lehrgängen, verstärkten Wettkämpfen, Konzentration der Aufgaben und vielen Einzelschritten eine Menge umgesetzt ist. Das Gute: Lambertz ist sich selbst treu geblieben, und hat angesichts der Mühen der Ebene nicht vieles schon wieder ad acta gelegt oder aufgegeben, wie es seine Vorgänger des öfteren taten.

Er gibt anstandslos zu, dass er dabei längst nicht am Ziel ist, sondern »gerade mal unterwegs«. So passten nach seiner Meinung zum Beispiel das Stützpunkt- und das Kadersystem überhaupt noch nicht zusammen. »Das muss besser ineinander greifen, wenn es richtig effektiv sein soll.« Lambertz versteht sich in diesem Prozeß als Kommunikator und als Entscheider gleichermaßen. »Ich glaube, ich bin jemand, der viel mit dem Leuten spricht, der zuhören kann«, sagt er. Gerade hat er in Berlin einen Meinungsaustausch mit den Eltern der Schwimmtalente aus dem Perspektivteam hinter sich, davor traf er sich mit den Bundestrainern in den Stützpunkten und den Leitenden Landestrainern. »Aber wenn ich alles gehört habe, dann muss es einen Weg geben, dann sind Entscheidungen zu treffen.«

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