Inklusionsunternehmen statt Werkstätten

Deutschland ist von einem inklusiven Arbeitsmarkt weit entfernt, sagt das Institut für Menschenrechte

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Freitag will der UN-Fachausschuss sein Fazit zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention veröffentlichen. Klar ist schon jetzt: Von einem inklusiven Arbeitsmarkt ist Deutschland weit entfernt.

Wenn an diesem Freitag der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung seine abschließenden Bemerkungen veröffentlicht, dürften diese deutlich mehr Handlungsempfehlungen denn warme Worte an die Bundesrepublik enthalten. Ein Aspekt neben anderen ist die Inklusion von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt. Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention sieht vor, dass Menschen mit Behinderung das gleiche Recht auf Arbeit haben wie andere Menschen. »Dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird.«

Mit Stand von 2013 arbeiten in Deutschland rund 300 000 Menschen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen - Zahl steigend. Ihre Stundenlöhne liegen bei zwei Euro oder darunter - Zahlen nicht steigend. Zu den Betrieben, die unter den Begriff Werkstätten fallen, gehören Wäschereien, Schreinereien, Kleinmontage und auch viele Großküchen. Es ist gesetzlich geregelt, dass 70 Prozent des Geldes, das erwirtschaftet wird, in die Löhne fließen müssen, der Rest darf für Lohnrücklagen oder Investitionsrücklagen verwendet werden. Die in diesen Unternehmen verrichteten Tätigkeiten unterscheiden sich nicht großartig von denen, die anderswo von Menschen ohne Behinderung ausgeübt wird.

Doch das Werkstattwesen kann »nicht als Teil eines inklusiven Arbeitsmarkts bezeichnet werden«, heißt es im Parallelbericht, den das Berliner Institut für Menschenrechte an den UN-Fachausschuss geschickt hat. »Der Vertragsstaat (Deutschland) ist von einem inklusiven Arbeitsmarkt weit entfernt«, heißt es weiter. Die Werkstätten könnten eine »Brückenfunktion« in den ersten Arbeitsmarkt übernehmen - tun dies aber nicht. Ein Hauptgrund ist, dass die Arbeit in einer Werkstatt nicht die gleichen Möglichkeiten biete, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, wie der Erste Arbeitsmarkt.

Die Tätigkeit in den Werkstätten ist nach dem Sozialgesetzbuch IX geregelt. Die dort Beschäftigten gelten nicht als »Arbeitnehmer«, sondern als »Rehabilitanden«. Der gesetzliche Mindestlohn gilt für sie anders als beispielsweise in Frankreich - nicht. Die Beschäftigten verdienen ein Zubrot, das durch Sozialleistungen bis zum Existenzminimum aufgestockt wird.

Während die BefürworterInnen des Mindestlohnes auch in Werkstätten argumentieren, dass Menschen, die dort arbeiten ganz normale Werktätige sind, die von ihrer Hände Arbeit leben können müssen, sagt beispielsweise Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei einer Tagung im Dezember, die Werkstätten sollten auch weiterhin »ein Schutzraum für Menschen mit Behinderungen« sein. Die dort Arbeitenden unterlägen nicht den gleichen Pflichten etwa bei der Arbeitszeit, Arbeitsleistung oder Weisungsgebundenheit. Zudem gelten für sie Sonderregelungen bei der Rente. All diese Regelungen hätten auf dem Spiel gestanden, wäre der Mindestlohn auch in den Werkstätten eingeführt worden - Menschen mit Behinderung also wie »normale« Beschäftige behandelt worden.

Dagegen wollen viele genau das. Das Wort »Inklusionsunternehmen«, statt Werkstatt ist in dem Kontext zu hören. Die Einrichtungen entpuppten sich zu oft als Bremse denn als Brücke in den Arbeitsmarkt. Einer zwischen 1997 und 2007 um 50 Prozent gestiegenen Zahl von Werkstattbeschäftigten steht eine Vermittlungsquote von einem Prozent gegenüber. 2008 ratifizierte Deutschland die UN-Konvention. Damit erkennt es an, die Inklusion von Menschen mit Behinderung auch auf dem Arbeitsmarkt ist ein Menschenrecht und kein Akt der Gnade. Doch auf die Umsetzung warten die Menschen noch immer.

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