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Hessen-SPD will Betreuungsgeld abschaffen

Kritik auch aus der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion / Koalition: Alleinerziehende sollen steuerlich stärker entlastet werden

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Nach der Kritik der Verfassungsrichter werden in der SPD neue Rufe nach einem Ende des umstrittenen Betreuungsgeldes laut. »Wir fordern eine zielgenaue Ausgestaltung der teils falsch und ungerecht verteilten staatlichen Leistungen zur Familienförderung«, heißt es in einem Beschluss des hessischen Landesvorstands, über das die Illustrierte »Focus« berichtet. »Dazu gehört etwa die Streichung des bildungs- und arbeitsmarktpolitisch kontraproduktiven Betreuungsgelds.«

Das Papier aus Hessen dürfte für neuen Unmut in der Großen Koalition sorgen, zumal Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel auch stellvertretender Vorsitzender der Bundes-SPD ist. Aber auch in der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion wächst die Hoffnung, das Betreuungsgeld wieder loszuwerden. »Niemand in der SPD würde dem Betreuungsgeld eine Träne hinterherweinen«, sagte der Sprecher der Parlamentarischen Linken, Carsten Sieling, dem »Focus«. Wenn Karlsruhe das Gesetz kippen würde, »können die Länder selbst entscheiden - und es müssten nicht mehr alle Steuerzahler für die verstaubten Ansichten der CSU aufkommen«, so der SPD-Politiker.

Auch der Sozialverband VdK Deutschland hofft auf eine baldige Abschaffung des Betreuungsgeldes. Die sogenannte Herdprämie setze gerade bei jenen Familien falsche Anreize, für deren Kinder frühe Bildungsangebote und Sprachförderung besonders wichtig sind, sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher in einem Interview mit der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Alle Kinder in Deutschland müssten aber die gleichen Chancen auf frühe Bildungsteilhabe haben. Das Geld, das durch die Abschaffung des Betreuungsgeldes frei würde, sollte für den Ausbau der frühkindlichen Bildung und zur Förderung der Inklusion genutzt werden: »Wir brauchen gute Rahmenbedingungen in den Kitas, um Kinder optimal zu fördern, etwa bei der Sprachentwicklung, der Kreativität und im Sozialverhalten.« Mascher verlangte unter anderem dringend mehr Personal in den Kitas.

Der Erste Senat des Gerichts befasst sich mit den vom Stadtstaat Hamburg aufgeworfenen Fragen, ob das im Jahr 2013 eingeführte Betreuungsgeld gegen das Ziel des Grundgesetzes auf Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau verstößt und ob der Bund berechtigt war, das entsprechende Gesetz zu beschließen. Mit einem Urteil wird noch in diesem Jahr gerechnet.

Derweil sollen Alleinerziehende in Deutschland künftig mehr Geld zur Verfügung haben. Die Fraktionsspitzen von Union und SPD verständigten sich nach wochenlangem Streit am Donnerstag bei einer Klausurtagung in Göttingen auf eine stärkere steuerliche Entlastung. Der seit elf Jahren bei 1308 Euro liegende Freibetrag soll um 600 auf 1908 Euro erhöht werden. In Deutschland gibt es rund 1,6 Millionen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, davon 90 Prozent Frauen.

Die Besserstellung wird rund 80 Millionen Euro im Jahr kosten und war zwischen Union und SPD bis zuletzt umstritten. Das Geld muss aus dem Etat von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) kommen, sie soll mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Einigung erarbeiten, womöglich kann die Summe durch nicht abgerufene Mittel beim Betreuungsgeld kompensiert werden. »Es geht hier nicht um Milliarden, sondern um 80 Millionen. Die Ministerien werden eine Lösung finden«, betonte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Schwesig sagte in Berlin, es sei wichtig, Alleinerziehende und deren Kinder zu unterstützen. »Sie gehören zu den Familien, die besonders viel leisten.«

Die Umsetzung soll im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags erfolgen. Alle Leistungen sollen rückwirkend zum 1. Januar 2015 angepasst werden. So soll das Kindergeld für dieses Jahr um vier und 2016 um weitere zwei Euro im Monat erhöht werden. Der Bundestag berät nächste Woche darüber.

Die stärkere steuerliche Entlastung von Alleinerziehenden hatte die SPD vor allem auch deshalb gefordert, weil anders als deren Entlastungsbetrag der Kinderfreibetrag und das Kindergeld zwischen 2004 und 2015 um 23 Prozent erhöht worden waren. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte am Rande der Klausur in Göttingen: »Wir haben immer mehr Alleinerziehende in unserer Gesellschaft.« Diese Personen hätten eine ganz besondere »Dreifachbelastung«. Neben der Arbeit müssten sie auch beide Elternrollen garantieren. »Deshalb sagen wir, das sind echte Helden unserer Leistungsgesellschaft.«

SPD-Chef Sigmar Gabriel betonte, sie würden Außerordentliches für ihre Kinder und die Zukunft des Landes leisten. »Es ist bitter notwendig und längst überfällig, ihnen mehr Unterstützung zukommen zu lassen.« Auch der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel, sprach von »einer guten Nachricht für Alleinerziehende«, forderte aber zugleich auch eine Anpassung von weiteren rund 20 Steuerposten hin, die zum Teil seit Jahrzehnten nicht angepasst wurden. Agenturen/nd

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