Heilende Wortsalven voller Poesie

Die britische Rapperin Kate Tempest im Berghain

  • Celestine Hassenfratz
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit einer Wortgewaltigkeit, die ihresgleichen sucht, rappt, spricht, reimt sich Kate Tempest in Herz und Hirn eines jeden Poesie verliebten. Sie präsentiert wunderschöne Lyrik gespickt mit purer Emotion.

Man muss wohl versuchen, Energie auf Papier zu bannen, um den Sturm zu beschreiben, der die Menschen an diesem Abend ergriff, als Kate Tempest im Berghain punktgenau ihre tiefe Poesie teilte. Jegliche Details rund um die Location - Berghain, die Türsteher sind ausnahmsweise freundlich, ein Kellner trägt keine Hose - und das Publikum - berlinerisch emotionsverschluckend - verblassen zu Nichtigkeiten, als die junge Frau ihr Herz öffnet und die Worte herauswirbelt wie ein Tornado Äste im Sturm - Tempest - den sie sich als Künstlernamen gegeben hat.

Jede Silbe ist Emotion, als Tempest aus ihrem Debütalbum »Everybody Down« rappt, eine Sozialstudie über drei junge Londoner: gebrochene Herzen, Prostitution, prekäres Leben. Die 28-jährige Rap-Poetin ist im Süden Londons aufgewachsen, man hört es an ihrem breiten Dialekt, dennoch sind ihre Texte gut zu verstehen, schafft man es, ihrem Tempo zu folgen. Kate Esther Calvert, als jüngstes von fünf Kindern geboren, begann mit 14, in einem Plattenladen zu arbeiten, mit 16 brach sie die Schule ab. Im gleichen Jahr hatte sie ihren ersten Auftritt als Rapperin in London, später begann sie, an Poetry Slams teilzunehmen. »Ich wollte Musik lernen und viel lesen, aber in meinem eigenen Tempo, verstand nicht, warum ich die Sachen, die mich nicht interessierten, in der Schule lernen sollte«, sagte die Rapperin kürzlich in einem Interview mit dem »Guardian«.

Kaum hat man Tempest als Rapperin »gelabelt«, bleibt ein schaler Nachgeschmack, denn sie ist so viel mehr als ein technisches Rap-Wunderkind, das in »double-time« - doppelter Geschwindigkeit - auf die Beats ihre Texte niederprasseln lässt. Sie ist Lyrikerin, Poetin. Ihre Beats stammen vom britischen Produzenten Dan Carey, der bereits mit M.I.A. - an deren Songs Tempests Musik zumindest beattechnisch erinnert - und Hot Chip arbeitete. Im vergangenen Jahr konnte Carey mit Singer-Songwriter Nick Mulvey und Tempest, die beide für den britischen Mercury Prize nominiert waren, weiter Erfolg feiern.

Tempest steht fest auf der Bühne in der großen Halle im Berghain, sie gibt sich dem Flow der Beats hin, ein paar HipHop-Bewegungen, tanzt, schwebt, genießt. Es ist überwältigend für sie, hier zu stehen, richtet sie sich an das Publikum. Das glaubt man gerne, ihre Karriere ist im letzten Jahr durch die Decke gegangen.

Ihre erste Gedichtsammlung »Everything Speaks in its Own Way« erschien 2012, ihr erstes Theaterstück »Wasted« 2013. Mit ihrem Debütalbum »Everybody down«, zwölf Tracks, die eine zusammenhängende Geschichte erzählen, erreichte Tempest im letzten Jahr internationale Aufmerksamkeit. Es war das wohl wichtigste politische Rap-Album des Jahres. Sie selbst sagt, dass sie keine politischen Statements machen wollte in ihren Texten, die Zeit aber, in der wir leben, sei so krank, dass wir keine Geschichte erzählen können, ohne sie politisch auch zu fühlen. Tempest hat Tiefe in ihren Texten, die an ihrer Ehrlichkeit wachsen und zu einem Gefühl werden, das nachklingt. Gerade hat sie den Gedichtband »Hold Your Own« herausgebracht, in dem sie sich als feministische Lyrikerin mit dem griechischen Mythos »Teiresias« auseinandersetzt, eine Figur, die sich erst in eine Frau und dann wieder in einen Mann verwandelte.

Auf der Bühne breitet Tempest ihre Gefühle aus vor dem Publikum, bereit, durch die Berührung der Worte Magie entstehen zu lassen. Es ist der letzte Abend ihrer Europatournee, Tempest ist vollgesogen mit den Energien der vorherigen Auftritte. »Gebt mir euren Schmerz, lasst ihn hier, ich kann ihn tragen«, spricht sie zum Publikum, angestrahlt in lila-grün, ihre blonden Locken aus dem Gesicht streichend. Jedes Wort, das Tempest vorträgt, rappt, fast predigt, ist echt, hat Ausdruck. Als sie am Ende des Abends dazu auffordert, mehr zu lieben und weniger zu hassen, streckt auch das Berliner Publikum die Fäuste nach oben. Word.

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