Haushaltsnotlage als Totschlagargument

Wahlkampfthema Nummer 1 - in Bremen sind die Kernbereiche des öffentlichen Lebens unterfinanziert

  • Ulf Buschmann, Bremen
  • Lesedauer: 3 Min.
Bremen hat am 10. Mai wieder die Wahl. Die chronisch schlechte Haushaltslage der Hansestadt ist das Wahlkampfthema. Nicht nur die LINKE lässt kein gutes Haar am aktuellen Senat.

Es ist ein ganz böses Wort, viel schlimmer als das »Unwort des Jahres«. Sollte es so etwas wie das »Unwort des Jahrhunderts« geben, ist der Titel mit Sicherheit vergeben - zumindest in Bremen. »Haushaltsnotlageland« heißt es und gehört zum Standardsprachgebrauch eines jeden Mitglieds des Senats und der Bremischen Bürgerschaft. Das gemeine Volk kennt »Haushaltsnotlageland« eher als als Bild kreisender Pleitegeier. Und als Totschlagargument in jeder Diskussion.

Bildung, Soziales, Kultur, Polizei und Feuerwehr: Alle Kernbereiche des öffentlichen Lebens sind unterfinanziert. Darauf machen die Oppositionsparteien in der Bremischen Bürgerschaft immer wieder unbarmherzig aufmerksam - CDU, LINKE und auch die »Bürger in Wut« (BiW). Wobei letztere in der öffentlichen Wahrnehmung in den vergangenen Jahren eher eine geringe Rolle gespielt haben. Das freilich könnte sich in naher Zukunft ändern, denn am 10. Mai wird im kleinsten Bundesland der Landtag, die Bremische Bürgerschaft, gewählt. Parallel dazu votieren die Bürger Bremens über die Zusammensetzung der Stadtbürgerschaft und ihrer sogenannten Stadtteil-Parlamente, der Beiräte. In Bremerhaven sind die Wahlberechtigten auch noch zur Wahl der Stadtverordnetenversammlung aufgerufen.

Laut der jüngsten Umfrage von Infratest dimap im Auftrag des »Weser Kurier« erreichen die BiW landesweit fünf Prozent. Ähnlich stark ist allerdings die »Alternative für Deutschland« (AfD). Die LINKE kommt auf sechs, die FDP auf fünf Prozent. Auf Platz drei fallen die Grünen mit 16 Prozent zurück, an zweiter Stelle landet die CDU, die laut Umfrage bei 23 Prozent liegt. Unangefochten an der Spitze bleibt die SPD mit 38 Prozent.

Doch in Bremen sind solche Umfragen so etwas wie Schall und Rauch, und das liegt am Wahlgesetz. Denn im Gegensatz zu den anderen Bundesländern muss eine Partei entweder in Bremen oder in Bremerhaven über die Fünf-Prozent-Hürde kommen, um in den Landtag einzuziehen. Hinzu kommt, dass an der Unterweser seit dem Urnengang von 2011 wie im Bund oder beim Nachbarn Niedersachsen eine Mischung aus Personen- und Listenwahl gilt. Jeder Wahlberechtigte kann seine fünf Stimmen nach Gutdünken verteilen - was vor vier Jahren manche Überraschung brachte.

Dass es am Ende wieder zu einem rot-grünen Senat kommt, gilt schon fast als ausgemacht. Gleichwohl beharken sich die Koalitionsfreunde derzeit öfter als in der Vergangenheit. Missmut hatte es bereits bei der Haushaltsaufstellung 2013/2014 gegeben: Das SPD-geführte Bildungsressort forderte mehr Geld, Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) wollte nicht. Ihre Begründung - natürlich »Haushaltsnotlage« - kassierte Bürgermeister Jens Böhrnsen. Seine Aussage, dass auf den Bildungshaushalt »eine Schippe drauf müsse«, ist in die Annalen des Bundeslandes eingegangen.

Trotzdem ist der Unmut in Schulen und Hochschulen groß, denn gespart werden muss trotzdem überall. Bildung ist denn auch eines der Themen, auf das sich die CDU im Wahlkampf eingeschossen hat. Sie wirbt mit ihrer Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann um »neues Vertrauen« und prangert etwa den Unterrichtsausfall an. Rot-Grün habe die Lage in acht Jahren Regierung »in einigen Teilen unseres Bundeslandes noch verschlechtert«, sagt der CDU-Landesvorsitzende, Jörg Kastendiek. Er nennt die Armutsbekämpfung, eine aus seiner Sicht unsinnige Verkehrspolitik und das Versenken von Steuergeldern.

Auch die LINKE lässt kein gutes Haar an Böhrnsen und seiner Mannschaft. Landessprecherin Doris Achelwilm findet, dass der Senat trotz Schuldenbremse zusätzlich 100 bis 150 Millionen Euro hätte investieren können. Stattdessen komme Rot-Grün »lieber den Forderungen des Stabilitätsrates« nach, um den Haushalt vermeintlich in den Griff zu bekommen. »Dafür werden Stadt und Land Bremen immer maroder. In Bremerhaven ist es noch schlimmer«, sagt Achelwilm.

Dabei hat sich insbesondere Böhrnsen die Beseitigung der Armut offiziell auf die Fahnen geschrieben. »Hier hat sich die rot-grüne Regierung auf den Weg gemacht«, heißt es immerhin seitens des DGB. Der Handlungsspielraum sei indes beschränkt. Zwischen den Zeilen taucht hier das böse Wort wieder auf: »Haushaltsnotlageland«.

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