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Der Rocker-Unternehmer

Alexander Saldostanow gründete den Biker-Klub »Nachtwölfe«. Eine Abordnung seines Biker-Klubs sorgt mit einer politisch aufgeladenen Reise nach Berlin für Schlagzeilen

  • Ute Weinmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Aufrichtiger Patriot, Unternehmer, Arzt, Despot oder einfach nur zum richtigen Zeitpunkt am passenden Ort? Mit 50 Jahren erreichte Alexander Saldostanow, Chef der »Nachtwölfe«, den Zenit seiner Karriere. Sein Biker-Klub, von dem sich eine Abordnung zu den Feierlichkeiten zum 9. Mai in Berlin angekündigt hat, ist der mitgliederstärkste und einflussreichste in Russland mit einem Bekanntheitsgrad, um den ihn selbst professionelle Politiker beneiden dürften. Dabei sorgt der überzeugte Nichtraucher sich nicht allein um die Belange passionierter Motorradliebhaber, sondern kümmert sich intensiv um den patriotischen Nachwuchs. Dieses Engagement brachte ihm 2013 die Auszeichnung mit dem Ehrenorden durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin ein. Beide scheinen sich zu mögen, zumindest jedoch profitieren sie voneinander.

Alexander Sergejewitsch Saldostanow wurde im Jahr 1963 in der Ukraine in eine Arztfamilie hinein geboren. Beide Elternteile und seine Schwester wählten diesen Beruf und anfangs schlug er den gleichen Weg ein. In Moskau absolvierte er ein Medizinstudium und war anschließend als Spezialist für posttraumatische Gesichtsdeformierung in einer Zahnklinik tätig. Doch seine eigentliche Berufung lag in Sphären, die anfangs keine Aussicht auf gesellschaftliche Anerkennung versprachen. Geblieben ist ihm nach seinem Ausflug in die Medizin lediglich der Beiname »Chirurg«.

Zu Beginn der 1980er Jahre gehörte es nicht zum guten Ton, von Staats wegen aus offiziellen Veranstaltungsorten verdrängte Musik zu hören. Dem musikalischen Untergrund hing etwas Anrüchiges an, denn alternativer Musikgeschmack könnte schließlich einhergehen mit oppositionellem Gebaren und antiautoritären Einstellungen. Saldostanow läuterte sich nicht nur über die Jahre, sondern dient als lebendiger Beweis für die Unhaltbarkeit jener These, zumindest in absoluter Form. Als Heavy-Metal-Freak prügelte er sich damals mit Depeche-Mode-Fans, später auch mit den Ljubery, dem aufstrebenden Mob aus dem Moskauer Umland, dessen Vertreter nicht nur kriminelle Karrieren hingelegt haben, sondern in einigen Fällen gar den Sprung ins politische Establishment geschafft haben.

Die Heirat mit einer deutschen Staatsbürgerin 1985 eröffnete dem späteren Apologeten einer russischen Nationalidee eine neue Welt. Seine Angetraute namens Mathilde war Journalistin von Beruf und, so jedenfalls wollen es diverse russische Quellen wissen, Tochter eines Direktors des Stuttgarter Mercedes-Benz-Unternehmens. Saldostanows Ausflug in den unbekannten Westen dauerte wieder nur wenige Jahre, dort aber legte er die Grundlage für seinen späteren persönlichen und geschäftlichen Aufstieg. Er verdingte sich im alten West-Berlin als Türsteher, genauer gesagt in der Schöneberger Punkrock-Klitsche »Sexton«, und machte die Bekanntschaft mit den Hells Angels. Motorrad fahren hatte er bereits in der Sowjetunion gelernt und sich mit 20 Jahren nicht nur ein zweirädriges Gefährt zugelegt, sondern gleich eine ganze Biker-Crew, die ruhebedürftige Bürger mit lautstarkem Motorheulen in Atem hielt. Berlin zeigte ihm, dass es auch eine Nummer größer geht.

Es war die Zeit der Umbrüche, und die Zukunft lag für den aufstrebenden Russen, der bereits erste Erfahrungen mit dem Kapitalismus gesammelt hatte, im Osten. Dort taten sich für ihn ganz andere Möglichkeiten auf, wenngleich Saldostanow heute im Rückblick den Zerfall der Sowjetunion, insbesondere aber die Loslösung der Ukraine von Russland, als Fehlentwicklung bewertet. »Ich bin immer mehr der Überzeugung, dass der Westen unser Feind ist«, sagte der Biker, der inzwischen lieber russischer Motorradfahrer genannt werden will, vor knapp einem Jahr in einem Fernsehinterview. Er spricht abgehackt und leise mit kratzender Stimme, die nicht so ganz zu dem für die nationale Sache werbenden Macho passen will.

1991 schlug er sich auf die Seite von Boris Jelzin und in den folgenden Jahren schaffte der »Chirurg« ein eindrückliches Unternehmensimperium. Zwar scheiterte die Massenproduktion eines vorzeigbaren russischen Motorrades, weshalb die Biker immer noch auf ausländische Modelle zurückgreifen müssen. Ein wunder Punkt, wie er zugab. Ansonsten jedoch hätte es besser nicht laufen können: ein eigener Sexton-Klub mit auf seinen Namen eingetragenen Immobilien, einträgliche Geschäfte mit allem, was Biker für ihr Wohl benötigen, die zeitweilige völlige Kontrolle über die gesamte Motorradszene.

Erst Anfang der 2000er Jahre setzte der Wandel zum staatsnahen Patriotenverein ein. Mancher Biker fühlt sich vom Oberwolf verraten und vertritt die Ansicht, jener habe den Ehrenkodex in den Schmutz getreten. Ein Despot sei er, und das nicht erst seit seinem patriotischen Outing, das den Austritt etlicher »Wölfe« aus dem Verband nach sich zog. Der Wendepunkt geht in die 1990 er Jahre zurück. Damals orientierten sich die Moskauer Motorradfans an den dänischen Hells Angels, zu denen Saldostanow enge freundschaftliche Beziehungen pflegte. Deren Verständnis auswechselbarer Anführer unter Einhaltung minimaldemokratischer Prozeduren entsprach nicht dem seinem. Der »Chirurg« will schließlich auf Lebenszeit sein Wolfsrudel anführen.

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