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Karriere in der Protestbewegung

Vor 30 Jahren mobilisierten Atomgegner erstmals mit dem »X« zum Protest

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die ersten Plakate mit dem gelben X wurden beschlagnahmt, später machte Joseph Beuys Kunst daraus. Seither hat es viele Bürgerinitiativen inspiriert, manchmal ist es rot oder auch ein »A« oder »Y«.

Wenn ein Castortransport Richtung Gorleben rollt, ist das gelbe »X« allgegenwärtig. In den Dörfern, die Meuchefitz und Waddeweitz, Breselenz oder Gedelitz heißen, ist es überall in den Vorgärten und auf den Höfen zu sehen. Manchmal haben die Leute Latten zusammengenagelt, oft klebt das X an Stalltüren oder baumelt an Autospiegeln. Das gelbe X wirkt wie ein Zeichen der Verschworenheit gegen die Atommüllfuhren. Es soll vermitteln: »Nix« Castor, »Nix« Atomkraft, wi wullt den Schiet nich hebben. Auch außerhalb des Wendlands hat sich der Buchstabe neben der roten Sonne als Symbol des Anti-Atom-Protestes durchgesetzt.

Das erste Mal zierte ein gelbes X vor 30 Jahren ein Protestplakat im Wendland, erzählt Andreas Conradt von der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. In das Poster war ein Foto montiert, das Atomkraftgegner bei einer Straßenblockade zeigte. Damals war von hochradioaktiven Castortransporten zwar noch nicht die Rede, das Gorlebener Zwischenlager für weniger stark strahlenden Atommüll aber war genehmigt und sollte erstmals beschickt werden. Die Staatsanwaltschaft wertete das Plakat als Aufruf zur Gewalt, ließ Hunderte Exemplare beschlagnahmen und ermittelte gegen die anonymen Verfasser.

Die Behörden hatten wohl gehofft, die Protestbewegung einzuschüchtern. Erreicht haben sie das Gegenteil. Das Plakat wurde überall in der Bundesrepublik nachgedruckt, das gelbe X erschien als Titel- oder Rückseite auf Umwelt- und Alternativzeitungen. Der Künstler und Mitbegründer der Grünen Joseph Beuys signierte das Plakat mit der berühmt gewordenen Aufschrift: »menschengemässe kunst muss 1. die zerstörung des menschengemässen verhindern, und 2. das menschengemässe aufbauen. Nur das ist KUNST und sonst gar nichts.« Dadurch, so Andreas Conradt, galt das Plakat nun selbst als Kunst und konnte nicht mehr verboten werden.

Das X machte in der Folgezeit Karriere. Die Castortransporte wurden zum »Tag X«. Bei den großen Demonstrationen rund um Gorleben versorgen »VolXküchen« hungrige Protestierer. In den Treckerkonvois der Lüchow-Dannenberger Bauern rollen auch »StromweXelstuben« mit, die für einen Vertragsabschluss mit Ökoenergie-Anbietern werben. Die Gorlebengegner verweisen darauf, dass ihr X gegen Atommülltransporte auch anderenorts Bürgerinitiativen inspiriert hat. Gegner der Kohlendioxid-Verpressung in Sachsen-Anhalt geben sich mit einem roten X zu erkennen. In der Region um das Atommülllager Asse ist das »A« als Protestsymbol präsent. Die Kritiker der geplanten Y-Bahntrasse in Niedersachsen machen mit einem Y mobil.

In den USA war das X schon früher in der politischen Auseinandersetzung bekannt. Der 1965 ermordete schwarze Bürgerrechtler Malcolm Little gelangte wie seine Gesinnungsfreunde von der militanten »Nation of Islam« zu der Ansicht, dass der Nachname eines jeden Schwarzen auf die Namensgebung durch die weißen Sklavenhalter zurückgeht. Bereits ab Ende der 1940er Jahre nannte sich Little deshalb »Malcolm X«.

Andreas Conradt weist dann noch auf einen Cartoon hin, der im Wendland sehr beliebt ist: Ein Bauer und eine Bäuerin treffen sich, beide haben einen Strohballen dabei: »Tach Hein!« »Tach Gerda!« Im folgenden Bild sitzen beide auf den Strohballen und blockieren die Straße. Darüber steht: »Tach X!«

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