»Weil es nicht gedacht werden konnte, war es für die meisten 
einfach nicht da.«

Peggy Piesche über das Leben als Schwarze Lesbe in der DDR, Rassismus und die Wende

  • Lesedauer: 8 Min.

Obwohl Lesben in der DDR rechtliche Gleichstellung genossen, blieben sie unsichtbar. Es gab im Gegensatz zur BRD kaum öffentliche Orte des Zusammenkommens, in der breiten Öffentlichkeit fanden sie keine Erwähnung. Teilnehmerinnen der Tagung sprachen davon, dass sie sich isoliert fühlten. Ging es Dir ähnlich?

Peggy Piesche: Ja, ich denke, dass dies ein allgemein gesellschaftliches Phänomen in der DDR war. Die rechtliche Gleichstellung von Lesben, die weit fortgeschrittenere Gleichberechtigung von Frauen allgemein in der DDR gegenüber der BRD war nur eine Seite bzw. nur eine Hälfte real-sozialistischer Ideologie. Da über vieles nicht geredet wurde und es wenig Räume gab, in denen alternative Lebensentwürfe gedacht oder gar gelebt werden konnten, entwickelte sich im DDR-Alltag so etwas wie eine sprachliche Leerstelle.

Peggy Piesche

Peggy Piesche, geboren 1968 in Arnstadt, ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Sie arbeitet an der Bayreuth Academy of Advanced African Studies und befasst sich vor allem mit den Themen Diaspora und Black European Studies. Seit 1990 ist sie im Verein Schwarze Frauen in Deutschland engagiert, einem der ersten Zusammenschlüsse von Schwarzen Deutschen der zweiten Nachkriegszeit. Von ihr erschien unter anderem »Euer Schweigen schützt Euch nicht: Audre Lorde und die Schwarze Frauenbewegung in Deutschland« (als Herausgeberin). Mit Peggy Piesche sprach Nadine Lantzsch. Das Gespräch erschien zuerst bei der maedchenmannschaft.net

Unter der Überschrift »Das Übersehen werden hat Geschichte« fand im Mai in Halle eine Fachtagung über Lesben in der DDR und in der friedlichen Revolution statt. Im Zentrum standen die lesbische Geschichte ab 1970, die Bildung der ersten Lesbengruppen und ihre Rolle in der Wende. Hinweise zu weiterführenden Texten über Schwarze und Lesben in der DDR finden sich im Internet unter: www.maedchenmannschaft.net

Was meinst Du damit?

Natürlich wussten wir, was »Homosexualität« war, kannten Wörter wie »Lesben« und »Schwule«. Aber im aktiven Aussparen dieser Wörter und allem, was damit zusammenhängt, indem eine bestimmte Sprache sozusagen nicht ausgeübt oder verwendet wurde, fehlten für Lesben und Schwule die Möglichkeiten, in ihre Identität hineinwachsen zu können. Ich wusste sehr früh, wie ich fühlte und was das bedeutet. Aber in einen Austausch dazu zu kommen, war zumindest für mich in der Provinz (ich habe Mitte der 1980er in Erfurt studiert) kaum möglich. Das Schweigen war allgegenwärtig.

Waren bestimmte Lesben-Gruppen sichtbarer als andere?

Das glaube ich schon. Das bereits beschriebene sehr typische Phänomen in der DDR, nämlich unliebsame Geschichte/n, Realitäten und Gedanken in einem Mantel des Schweigens zu ersticken, spielt hier auch eine Rolle. Diese Pathologisierung des Schweigens funktionierte natürlich in den Provinzen besser als in den wenigen Zentren der DDR. In Städten wie Berlin, Leipzig, Dresden und Jena waren die Möglichkeitsräume schon etwas größer. Hier trafen schneller oder vielmehr schon früher als in anderen Gegenden die beiden »Parallelwelten« systemkritischer politischer Gruppen und alternativ gesellschaftliche Lebensentwürfe im Schutze der Kirche aufeinander. Dabei bildeten diese Räume durchaus die gewünschte weiße deutsche Homogenität ab, die auch in der DDR identitätsstiftend für das Nationalkollektiv galt.

Besonders die Lesben, die sich unter dem Dach der Evangelischen Kirche organisierten, sahen sich politischer Verfolgung durch die Stasi ausgesetzt. Bespitzelung, Verhaftungen und Denunzierung waren an der Tagesordnung. Waren Lesben potenzielle Systemfeindinnen?

In dem angestrebten Lebenskonzept ganz sicher. Denn das schien das recht biedere und bürgerliche Gesellschaftskonzept der DDR zu bedrohen. Nicht umsonst wurde auch in der DDR die heteronormative Familie als »Keimzelle« der Gesellschaft gestützt. Dennoch muss aber deutlich gemacht werden, dass Lesbischsein noch nicht gleichbedeutend mit Systemkritik war. Die Bespitzelungen der Stasi bezogen sich auf das gesamte Spektrum der Gesellschaft. Es haben auch Lesben Lesben bespitzelt.

Neben politischer Opposition spielte auch der Kampf um politische, soziale und kulturelle Anerkennung eine Rolle. Konntest Du dich als Schwarze Lesbe mit den Zielen der Bewegung identifizieren?

Wie gesagt, von einer richtigen Bewegung wusste ich in der DDR nicht wirklich etwas. Die Bewegung konnte sich meines Erachtens eher erst nach bzw. mit der Wende als solche wahrnehmen und ihre Energien bündeln. Aus der Perspektive der DDR-Provinz handelte es sich vielmehr um zerstreute Räume und individuelle Begebenheiten. Für mich und meine Generation waren hier vor allem die Sommercamps der evangelischen Kirche Orte der Begegnung. Diese Räume waren natürlich alle durchweg sehr weiß, was wiederum für mich schnell zu Grenzerfahrungen führte. Als Schwarze Frau und Lesbe habe ich vor allem einen Bezug auf die differenzierten Lebensrealitäten, die es in der DDR gab, vermisst. In diesen Räumen wurde der gesellschaftliche Mythos, nach dem es Rassismus in der DDR nicht geben konnte, nicht hinterfragt.

Es gab also keine Räume, in denen Rassismus und Schwarze Lebensrealitäten Thema waren?

Rassismus galt in der DDR ideologisch als überwunden und wurde mit moralischem Verweis auf den Westen als systemisch irrelevant angesehen. Die DDR zelebrierte in ideologischen Gefechten des Kalten Krieges ihre sozialistische internationale Solidarität. Gern und besonders mit den »jungen aufstrebenden Nationalstaaten in Afrika«. Da passten die Erfahrungen und Lebensrealitäten Schwarzer Menschen und Lesben nicht ins Konzept. Mit dem Schweigen über Rassismus im eigenen Land und der gesellschaftlichen Unsichtbarkeit von Menschen jenseits einer heterosexuellen weißen Norm waren diese Themen auch im DDR-Alltag wenig möglich. Weil es nicht gedacht werden konnte, war es für die meisten einfach nicht da.

Hattest Du Kontakt zu anderen Schwarzen AktivistInnen in der DDR?

Es gab in Leipzig und Berlin Schwarze Gruppen, die bereits aktivistische Arbeit Ende der 1980er Jahre initiieren konnten. Das war selbst im Nachhinein für mich sehr empowernd (Empowerment: Selbstbemächtigung; Stärkung von Eigenmacht, Anm. d. Red.) zu erfahren, dass sie sich finden und kleine eigene Räume schaffen konnten. Ich persönlich habe den Kontakt zu anderen Schwarzen lesbischen Aktivistinnen, hier vor allem aus allen Ecken von Thüringen und Sachsen, erst nach der Wende, beim ersten gemeinsamen Bundestreffen von ADEFRA (Verein Schwarze Frauen in Deutschland) 1990 in München finden können.

Die afro-deutsche Dichterin und Aktivistin May Ayim beschrieb den Mauerfall und die Wendezeit einst als beängstigend. Aus ihrer Sicht schlug der deutsch-deutsche Einheitstaumel schnell in Nationalismus und Rassismus um. Teilst Du Ayims Einschätzung? Wie hast Du die Zeit erlebt?

Ja, ich teile diese Erfahrung und Einschätzung durchaus. Für mich hörte unsere sehr kraftvolle und vielversprechende Gesellschaftsintervention - von einer friedlichen Revolution haben ja dann vor allem die Westmedien gesprochen und damit vieles eigentlich sinnentleert - auf eine gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit unserer Regierung zu sein, als die Demonstrationssprüche »WIR sind das Volk« von Parolen »Wir sind EIN Volk« abgelöst wurden. Damit steuerte die noch existierende DDR geradezu atemberaubend in einen Strudel eines neuerstarkten selbstgerechten Einheitsnationalismus, der sehr klar machte, was er zuerst nicht benannte: »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.« Ich habe recht schnell begriffen, dass Schwarze Menschen in diesem neuen Deutschlandkonzept genauso wenig mitgedacht waren. Das war im Übrigen weit vor der alles enttäuschenden Märzwahl 1990, die ja oft als Zäsur in der politischen Lesbenbewegung der DDR gilt.

Wieso enttäuschend?

Standen nach den Ereignissen im November 1989 die Zeichen für einen demokratischen Reformweg der DDR, bei dem auch die Gruppierungen der Lesbenbewegung im Rahmen der Runde-Tisch-Gespräche beteiligt waren, so verschob sich durch den im Wahlkampf anlaufenden Mediensturm aus dem Westen und den Wahlauftritten des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl alles auf eine schnellstmögliche Vereinigung und hin zur (West)CDU. Die entsprechende Enttäuschung am Wahlabend und in der Zeit danach, in der die DDR bis zur Währungsunion im Juni 1990 de facto verabschiedet wurde, verstehe ich sehr gut und teile diese als eigene politische Erfahrung. Allerdings war das Projekt einer einschließenden Veränderung unseres Landes hin zu einer rassismus- und homophobiefreien Gesellschaft schon weit vor diesen Wahl(kampf)ereignissen gescheitert.

Obwohl der politische Umbruch für die meisten Ost-Lesben mehr demokratische Teilhabe bedeutete, wollten viele an einem sozialistischen System unter anderen Rahmenbedingungen festhalten, wiederum andere bangten um den Verlust ihrer Errungenschaften. Welche politischen Konsequenzen hatte die Wiedervereinigung aus lesbischer Sicht?

Ja, so ambivalent ist das Leben. Allgemein gesellschaftlich waren wir in der DDR vor allem bezüglich der Frauenrechte und Gleichstellungshürden schon sehr viele Schritte weiter als die damalige Bundesrepublik im Jahre 1990. Doch das schlug sich nicht zwangsläufig in den eigenen Lebensentwürfen nieder. Gerade in einer »Alltagsdiktatur«, in der Teilhabe und Selbstverwirklichung oft nicht möglich war. Auf der anderen Seite hat die Wende eben vor allem die Sichtbarkeit ermöglicht, um die in der DDR solange gestritten wurde.

Auch für Dich als Schwarze Lesbe?

Für mich war es der Beginn eines Weges, pluralisierte Repräsentationen, die ich selbst verkörperte, mit und in anderen zu finden. Ich konnte im wahrsten Sinne des Wortes die Bewegungen finden, die mir in der DDR gefehlt haben. Mit den Schwarzen Frauen und Lesben von ADEFRA habe ich das, was ich fühlte, und die Wörter, die ich zwar kannte, nun so füllen können, dass ich diese Teile meiner Identität zusammenleben konnte. Für die Schwarze lesbische Bewegung kann ich sagen, dass wir zueinander gekommen und mit dieser gebündelten Energie in eine politische sehr nachhaltige Zeit der 1990er aufgebrochen sind. Gemeinsam haben wir herausgefunden, dass wir uns in diesem gesellschaftlichen Rahmen quasi selbst erfinden mussten. Eine enorme kreative Arbeit, wie die Geschlechterforscherin und Erziehungswissenschaftlerin Maisha Eggers auf der Tagung in Halle so treffend auf den Punkt brachte.

Wie verliefen die ersten Zusammentreffen von Ost- und West-Lesben nach dem Mauerfall?

Wie gesagt, in der Schwarzen Community habe ich unser Zusammenkommen als eine gemeinsame Bereicherung erlebt. Natürlich hatten wir mit den gleichen Problemen von systemischem Unverständnis und Sprachlosigkeit zu kämpfen wie der Rest deutsch-deutscher Annäherung. Was mir jedoch in den überwiegend weißen Lesbenräumen der 1990er Jahre aufgefallen ist, war ein relatives Untergehen der Ostbezüge. Es war, als wenn die DDR und mit ihr die darin geführten Kämpfe nun eben als abgeschlossen galten. Auf den Lesbenfrühlingstreffen und den Berliner Lesbenwochen spielten solche Themen meines Erachtens kaum eine Rolle. Vielmehr ist hier wohl dem allgemeinen Tenor, dass aus der DDR nichts Rettenswertes übrig blieb, gefolgt worden.

Das klingt nach Konfliktpotenzial…

Interessanterweise zeigten sich die größten Konflikte nach der Vereinigung vor allem in der Aussparung von Rassismus als themenrelevantes Diskussionsfeld. Schwarze Lesben aus Ost und West haben sehr für ihre Sichtbarkeit und die Versprachlichung von systemischem Rassismus, der zum Beispiel auch nicht vor den Räumen der Lesbenwoche halt machte, gekämpft. Ich glaube, einige haben sich erst in dieser Zeit zum ersten Mal als weiß und Teil dieser mehrheitlich weißen Gesellschaft begriffen. Insofern ist ein Thema aus DDR-Zeiten über die Vereinigung hinaus relevant geblieben. Lesbische Sichtbarkeit in einer weißen Gesellschaft kann ohne die Thematisierung von Rassismus nicht wirklich erreicht werden, denn: Sichtbarkeit kann nie nur die eigene sein.

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