»Wir müssen die Arbeiter vor Ort erreichen«

Gewerkschafter Fabio Arias Giraldo über Friedensschulen und die Zukunft der Gewerkschaften in Kolumbien

  • Lesedauer: 3 Min.
Kolumbianische Gewerkschafter verbinden mit den Friedensverhandlungen zwischen Guerilla und Regierung die Hoffnung, dass nach drei Jahrzehnten die Repression und das Morden endlich aufhören.

Es gibt eine Initiative des kolumbianischen Gewerkschaftsdachverbandes CUT im Kontext der Friedensverhandlungen zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung. Wie sieht die aus?
Wir haben beschlossen, ein Netzwerk von »Schulen für den Friedens« in Kolumbien aufzubauen, um die Friedensverhandlungen zwischen FARC und Regierung, die in Havanna stattfinden, zu begleiten. Wir haben das Gefühl, dass die Verhandlungen weit weg sind, dass zu wenig Information in Kolumbien ankommt und dass die Gewerkschaften zumindest ihre Mitglieder und interessierte Teile der Zivilgesellschaft besser informieren müssen. Es ist nicht in unseren Händen, den Friedensprozess mit der FARC und morgen hoffentlich mit der ELN voranzutreiben, aber es ist an uns, ihn zu begleiten, zu erklären, zu informieren. Das wollen wir mit den »Schulen für den Frieden« tun.

Der Bürgerkrieg in Kolumbien hat auch die Gewerkschaften sehr hart getroffen. Was bedeutet das Wort Reparation in diesem Kontext?
Individuell steht den Angehörigen eine Wiedergutmachung zu, aber auch uns als Organisation. Das ist die kollektive Wiedergutmachung, die Reparación coletiva. Das wird in den Seminaren an den »Schulen für den Frieden« auch ein Thema sein. Wir als Gewerkschaftsdachverband haben mit dem Wort Reparation immer vier Dinge verbunden: die historische Wahrheit, Gerechtigkeit, die Notwendigkeit, dass sich die Geschichte nicht wiederholen darf und der organisatorische Wiederaufbau der CUT. Wir müssen die Arbeiter vor Ort wieder erreichen und dazu benötigen wir auch Garantien von Seiten des Staates.

Ist diese kollektive Reparation so etwas wie eine Frischzellenkur für die gewerkschaftliche Bewegung Kolumbiens?
Es ist der Versuch, das soziale Netzwerk unserer Organisation wieder aufzubauen. Bevor es zur systematischen und blutigen Verfolgung nahezu aller Gewerkschaftsaktivitäten in Kolumbien kam, vertraten unsere Organisationen Anfang der 1980er Jahre rund 14 Prozent der Arbeitnehmer, heute vertreten wir 4,5 Prozent der arbeitenden Bevölkerung dieses Landes. In diesen rund 30 Jahren der systematischen Verfolgung sind fast 3000 Arbeiter- und Arbeitervertreter in Kolumbien ermordet worden.

Hat die Zahl der Morde denn abgenommen?
Ja, aber sie gehören zum Instrumentarium der Einschüchterung genauso wie die Drohungen, die Attentate, das gewaltsame Verschwindenlassen. Darunter leiden wir bis heute. Die Gewalt hat dafür gesorgt, dass die grundlegenden, Rechte der Arbeiter in Kolumbien kaum mehr gelten. Um unsere Organisationen wieder aufzubauen, sie zu stärken und wieder zu einem gewichtigen Faktor in einer demokratischen Gesellschaft zu machen, brauchen wir die kollektive Reparation. Und wir brauchen die Anerkennung von Seiten des Staates, dass die Gewerkschaften eine Institution der demokratischen Gesellschaft darstellen. Ohne Gewerkschaften gibt es keine Demokratie.

Diese Anerkennung hat es in der Vergangenheit nicht gegeben. Warum sollte es das jetzt geben?
Das ist richtig. Bis heute warten wir, dass den den Opfern mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Bisher sind wir da nicht viel weiter gekommen - wir haben der Regierung einen runden Tisch zum Thema angeboten. Seit dem 9. April letzten Jahres ist es nicht zu dessen Konstitutierung gekommen. Das ist ein deutliches Zeichen.

Welche Bedeutung hat die internationale Solidarität?
Eine überaus große. Der Internationale Gewerkschaftsbund ist für uns ein zentraler Ansprechpartner. Dabei spielt die Partnerschaft mit den US-Gewerkschaften eine wichtige Rolle, sie haben sich solidarisch verhalten, immer wieder auf prägnante Fälle aufmerksam gemacht und viel dazu beigetragen, dass Verträge zum besseren Schutz von Gewerkschaftern in Kolumbien unterzeichnet wurden. Genauso wichtig ist die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die langjährige Kooperation mit europäischen Gewerkschaften und linken Parteien. Sie sind überlebenswichtig für uns.

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