Das Pfeifen nach dem Hühnerhund

DM-Busse, Streit unter Freunden und ein linkes Schisma - ein Protokoll. Von Velten Schäfer

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 3 Min.

Als der futuristische, fensterlose Panzerbus in Begleitung lächerlich kleiner Vopo-Ladas außer Sicht war, begannen die Freunde am Straßenrand zu streiten. Dabei hatten sich Thomas und Enrico, wie die Mittvierziger mit seriösen Arbeitsplätzen in der Zeitung heißen wollen, erst kurz zuvor im Berliner Stadtteil Friedrichshain getroffen, waren dicke geworden und meist einer Meinung: dass entschlossen gegen die Nazis vorzugehen sei, die von Lichtenberg immer wieder nach Friedrichshain vorstießen, dass auch das Westsystem nicht der Geschichte letztes Wort sein würde - und dass das Besetzen von Häusern, das sie an der Frankfurter Allee zusammengebracht hatte, nicht nur ein schönes Leben versprach, sondern auch ein politisches Mittel darstellte.

Doch als sie nunmehr Zaungäste jener Aktion wurden, die die Bundesbank als »Operation Bird Dog« - »Hühnerhund« - vorbereitet hatte, »stellte sich was zwischen uns«, erinnert sich Thomas, der aus einer westdeutschen Kleinstadt ins östliche Berlin gekommen war und dem Konvoi »etwas zwischen Imperialismus und Arschloch« nachbrüllte. »Meine Augen haben wohl geleuchtet«, lacht der am östlichen Stadtrand aufgewachsene Enrico. »Und ich hab dem Wagen nachgepfiffen wie einem schönen Mädchen. Dabei wollte ich das gar nicht.«

Thomas, meint Enrico, sei ihm auf einmal als »Besserwessi« erschienen - wenn dieses Schimpfwort schon gebräuchlich war im wilden Juni 1990. Und Enrico, erwidert Thomas, erschien ihm plötzlich als einer derjenigen, die »eine Revolution für Porno und PS verkauften«. »Selbst im Schlechtsein war der Westen besser«, erinnert sich Enrico an seine damals paradoxen Gefühle: Heilfroh war er, nun definitiv nicht probieren zu müssen, wie ihm auf Dauer die DDR bekommen wäre, doch fühlte er sich zugleich paternalistisch belächelt. Nicht nur vom jovialen Bundeskanzler, der von ihm Jubel erwartete, sondern auch von diesen Westlinksradikalen mit ihrem seltsamen Jargon, die ihm jetzt sagten, dass er sich nicht freuen dürfe. Die beiden haben dann lange nicht mehr geredet.

»Im Prinzip hab ich ja recht behalten«, meint Thomas heute: »Mit der unvermittelten Währungsunion war der Zusammenbruch im Osten abgemacht, wie der Lafontaine gesagt hat.« »Ganz der Alte!«, hält Enrico dagegen, »und warum hat dich dann einen Dreck gekümmert, was mit den Leuten passiert?« »Ich mach mir doch keinen Kopf um Leute, die aus Wut nur Fidschis klatschen«, pariert Thomas und malt Gänsefüßchen in die Luft. Die beiden sind jetzt kurz davor, wieder ernsthaft mit dem Streiten zu beginnen.

Thomas, der Wessi, wurde »antideutsch« nach dieser Nacht, wobei er lieber »antinational« sagt. Und Enrico wurde, wie er meint, »passiver Sympathisant« einer Gruppierung um den Ostberliner »Telegraph«, die sich als Fortführung von 1989 sah.

Wer aber wissen will, warum nach der Wende gerade deren Kritiker nicht zusammenfanden, wieso Westlinke in den 1990ern »Kühe! Schweine! Ostdeutschland!« für eine »antifaschistische« Parole hielten und umgekehrt viele Pickel kriegten, sobald sie einen bestimmten Dresscode erblickten, muss jetzt nur aufpassen. Es geht nicht um den »Warenfetisch« und »verkürzten Antikapitalismus«, mit denen Thomas oft operierte. Es geht nicht um »egalitäre ostdeutsche Identität als widerständiges Subjekt«, von der Enrico manchmal sprach. Es geht überhaupt nicht um Gedanken. Es geht um einen Moment, um einen Blick, einen Reflex in der Nacht zum ersten Juli 1990.

Zum Glück kommt jetzt der neue Mojito. Zum Glück ist es ein rarer warmer Abend im Frühsommer 2015. Die beiden brechen in Lachen aus. Sie wollen sich bald wiedersehen.

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