An der Heidekrautbahn, bei Berlin
Wandlitz hat sich seit 1990 vom Ausflugsort zur prosperierenden Großgemeinde entwickelt
»Wir haben hier allein zehn Badeseen«, sagt Bürgermeisterin Jana Radant (parteilos). Wandlitz lockt mit viel praller Natur, nicht nur im Sommer. Gut die Hälfte ihrer Fläche bedecken Seen und Wälder. Darunter befindet sich mit dem Liepnitzsee eines der gerade bei vielen Berlinern angesagtesten Ausflugsziele im Umland. Ganze 30 Kilometer entfernt liegen die Kulturtempel und Kneipen von Prenzlauer Berg.
Die Gemeinde Wandlitz im Landkreis Barnim mit ihren neun Ortsteilen erstreckt sich von Schönerlinde aus über mehr als 30 Kilometer an der Bundesstraße 109 und der A 11 nach Norden bis nach Zerpenschleuse. Parallel dazu verkehren auf der Trasse der legendären »Heidekrautbahn« die Triebwagen der Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) zwischen Berlin-Karow und Groß Schönebeck. Den hier auf 164 Quadratkilometern lebenden 22 220 Einwohnern bietet diese Verkehrsinfrastruktur ein hohes Maß an Flexibilität. Der größte Arbeitgeber am Ort sei zwar die Gemeinde, sagt die Rathauschefin, die seit 2011 im Amt ist. »Unser wichtigster Wirtschaftsfaktor aber ist Berlin. Rund 6500 Leute von hier sind Berufspendler, sie verdienen ihr Geld in Berlin und wohnen in Basdorf, Wandlitz, Klosterfelde, Lanke und so weiter.«
Das bis zur Verwaltungsreform von 2003 selbstständige Dorf Wandlitz hat zwei Bahnhöfe, Wandlitz und Wandlitzsee. Wer an letzterem aussteigt, findet sich inmitten eines Baudenkmals aus den 1920er Jahren wieder. Die Klinkerensemble der Bahnhofsgebäude, die sich zu dem im gleichen Stil der neuen Sachlichkeit errichteten Strandbad hin öffnen, brauchen einen Vergleich mit dem Strandbad Wannsee nicht zu scheuen. Grünanlagen, Läden, Cafés und Restaurants sowie ein gepflegter Park verbreiten Kurbad-Atmosphäre.
Es ist viel renoviert und neu gebaut worden, Reihen- und Einfamilienhäuser sowie manche opulente Villa bestimmen das Ortsbild. Wohnen in Wandlitz war schon zu DDR-Zeiten auch bei der Prominenz in - Künstler zog es hierher, Politiker sowieso. Dass mit dem Namen Wandlitz allerdings bis heute viele noch immer die hermetisch abgeschottete »Waldsiedlung«, das von 1958 bis 1989 bestehende Wohnreservat der SED-Elite, assoziiert wird, ist schlicht falsch. Der Komplex, der heute Teil der Brandenburg-Klinik ist, befindet sich fünf Kilometer südöstlich des Wandlitzsees und gehört zu Bernau-Waldfrieden. Jana Radant sieht in dem verbreiteten Irrtum keinesfalls einen Makel. »Ganz im Gegenteil«, sagt sie, »das ist unser größter Imagefaktor, wir profitieren davon. Es bringt interessierte Besucher hierher.« In Wandlitz selbst unterhielt der DDR-Ministerrat ein Gästehaus am See, das auch UdSSR-Botschafter Pjotr Abrassimow gern als Feriendomizil nutzte, in derselben Straße hatte DDR-Planungschef Gerhard Schürer ein Wochenendhaus. Nach der Wende haben viele Westler die Gunst der Stunde genutzt und günstig Immobilien in Toplagen erworben.
»Wandlitz wächst, wir sind ein Zuzugsort«, sagt Bürgermeisterin Radant. Um annähernd 6000 ist die Einwohnerzahl aller neun Ortsteile nach der Wende gewachsen. Im Dorf Wandlitz lebten im Oktober 1990 exakt 2979 Menschen, heute sind es mit 6500 mehr als doppelt so viele.
Natürlich sind wie überall die Filialen der einschlägigen Verbrauchermärkte aus dem Boden geschossen. Inzwischen aber fehlt es in der noblen Villen- und Reihenhaus-Kommune an bezahlbarem Wohnraum für die wachsende Zahl an Familien- und Seniorenhaushalten mit eher geringeren Einkommen. Die Gemeinde legt beim Wohnungsbau Wert auf eine zurückhaltende, dem Ortsbild angemessene Bebauung. Mehr Gestaltungsspielraum gönnt sie sich im benachbarten Basdorf. In dem etwas weniger mondänen Ortsteil hat 2014 die Umgestaltung des Kasernengeländes der ehemaligen Landespolizeischule begonnen. In den künftigen »Basdorfer Gärten« direkt an der B 109 werden in diesem Jahr die ersten 100 Mietwohnungen in Angriff genommen, kündigt die Bürgermeisterin an. Wohnen, Sport und Erholung sollen hier miteinander harmonieren. Und auch historisches Erinnern wird seinen Platz finden, denn das Areal, das bis 1990 die DDR-Bereitschaftspolizei nutzte, beherbergte bis 1945 das größte Fremd- und Zwangsarbeiterlager im Großraum Berlin-Brandenburg. In einer Barackenstadt waren hier ab 1942 insgesamt rund 6000 Menschen aus 13 von den Nazis okkupierten europäischen Ländern untergebracht.
Das Wandlitzer Rathaus präsentiert sich seit 2013 aufwendig modernisiert, den Gemeindemitarbeitern bietet es verbesserte Arbeitsbedingungen, Besuchern einen guten Service. Vom gläsernen Verbindungsgang zwischen Alt- und Erweiterungsbau aus blickt man auf den Wandlitzsee. Ein paar Surfer und Stehpaddler sind unterwegs, im Strandbad ist Hochbetrieb.
Seit dem Jahr 2003 weiß man in der gesamten Bundesrepublik, was dieser See wert ist. Damals verkaufte die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH den Wandlitzsee für 400 000 Euro an eine Immobilienfirma um den Düsseldorfer Rechtsanwalt Werner Becker. Als »Schlacht um den Wandlitzsee« hat die »ZEIT« Jahre später die Art beschrieben, in der es sich Becker hernach, auf seine erworbenen Rechte pochend, lustvoll mit den Anwohnern des Sees und vermutlich mit gleich allen »Ossis« verdorben hat. Den Uferstreifen ließ er sich von jedem Anwohner teuer bezahlen, mancher kaufte, mancher zahlt Pacht. Im Streit um die Nutzung oder Errichtung von Boots- und Badestegen mussten sie einem Vergleich mit Beckers Wandlitzsee AG zustimmen. Nach dem Becker-Schock hat der Bund die Privatisierung der nach dem Einigungsvertrag aus Volkseigentum übernommenen Seen eingestellt und sie den Ländern Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vermacht. In Brandenburg wurden sie an die Kommunen übertragen.
»Wir haben mit Herrn Becker inzwischen ein sehr kooperatives Verhältnis«, sagt die Bürgermeisterin, in den 1980ern promovierte Philosophin mit DDR-Biografie und mit soliden Kenntnissen im Immobiliengeschäft gewappnet. »Er versucht natürlich, seine wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.« Die Gemeinde hat mit Becker unter anderem den Fortbestand des Strandbads ausgehandelt. Derzeit geht es der Rathauschefin um eine Fährlinie auf dem Wandlitzsee. Becker scheint da nicht abgeneigt. Ähnlich der Fähre »Frieda«, die Nord- und Südufer des Liepnitzssees mit der Insel »Großer Werder« verbindet, könnte auf dem Wandlitzsee eine Barkasse einige der Touristenattraktionen von Wandlitz besser »in Szene setzen«, wie Radant betont. Es geht um Strandbad, Stolzenhagen, Kurhotel und das 2013 eröffnete Barnim-Panorama im alten Dorfkern. Es beheimatet neben dem sehr sehenswerten Agrarmuseum die Verwaltung des Naturparks Barnim.
Überhaupt ist viel getan worden für den Tourismus. Die Jugendherberge am Wandlitzsee und auch das Wanderwegekonzept sind auf der Höhe der Zeit. Ein durchgehender Fahrradweg führt auf fast 35 Kilometern Länge von Schönerlinde bis Zerpenschleuse. Gefahrenabwehr ist derzeit beim Liepnitzsee angesagt. Unter dem Motto »Rettet den Liepnitzwald« wehrt sich eine Bürgerinitiative gegen Pläne, in den Waldlagen Windkraftanlagen zu errichten. Die Bürgermeisterin unterstützt die Windkraftgegner. Sie ist sicher, dass das Kleinod erhalten bleibt - ohne Windrädern über den Wipfeln.
Nächste Woche: Hobrechtsfelde
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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