Kein Gegen-Varoufakis

Efklidis Tsakalotos hat den schwierigsten Job Europas. Tom Strohschneider über Athens Finanzminister

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Das erste, was die Öffentlichkeit über Efklidis Tsakalotos erfahren sollte, drehte sich darum, was der Mann angeblich alles nicht ist: nicht schillernd, nicht streitlustig, nicht auffällig. Ohne Motorrad! Eben nicht wie sein Vorgänger Yanis Varoufakis. Damit war das Bild des 55-jährigen Ökonomen festgelegt - als Negativ eines anderen Bildes, das des Vorgängers, dem die Medien so gern ihre Verachtung schenkten. Tsakalotos, der Gegen-Varoufakis.

Über den Wirtschaftswissenschaftler Tsakalotos sagt das nichts, aber es wurde schnell zum Raster, in das sich nach seiner Ernennung am Montag die Zuschreibungen einpassten. Nervös sei er gewesen vor seinem ersten Treffen in der Eurogruppe am Dienstag, las man - der Mann hatte vorher schon die Verhandlungsgruppe der SYRIZA-geführten Regierung koordiniert. Lampenfieber habe er gehabt, hieß es - das, so stand da auch immer, sei bei Varoufakis anders gewesen. Und dann auch noch dies: Tsakalotos wurde bei seiner Premiere als Finanzminister der einzigen linken Regierung auf europäischer Bühne mit einem Stichpunktzettel fotografiert!

Was da zur »unangenehmen Panne« gemacht wurde, beleuchtete nicht den Politiker Tsakalotos schärfer oder seine Schwerpunkte, nicht seine mögliche Strategie gegenüber den Gläubigern, auch nicht seinen wissenschaftlichen Hintergrund. Der »Spickzettel« wurde bloß zum nächsten Mosaik im Bild vom Gegen-Varoufakis.

»No Triumphalismus« stand auf Tsakalatos’ Zettel unter anderem: keine übertriebene Siegesrhetorik nach dem starken Votum des Referendums vom vergangenen Sonntag. Und die Zeitungen schrieben: Das wäre Varoufakis sicher nie eingefallen. Der psychologisierende Fokus ging sogar so weit, dass ein großes Onlineportal mehrere Graphologen zu Rate zog, um aus der Handschrift von Tsakalotos etwas über seine Persönlichkeit zu schließen: Ihm fehle es, hieß es dort, wohl an Selbstbewusstsein. Wirklich? Über Efklidis Tsakalotos, den marxistischen Ökonom, den Gewerkschafter und SYRIZA-Politiker, den Mann, der anders als wohl alle anderen europäischen Finanzminister schon einmal an der Spitze einer Demonstration mitmarschiert ist, bei der es nicht um die Legitimation von Herrschaft, sondern um deren praktische Kritik ging, erfuhr man wenig. Auch kaum etwas darüber, was »der Neue« neben Alexis Tsipras politisch denkt. »Ich würde nicht sagen, dass es etwas Revolutionäres ist, wenn man für die Ärmsten der Armen eintritt«, hat Tsakalotos nach seiner Ernennung gesagt. »Es gab früher einmal Zeiten, da waren die Bedürfnisse der Masse Teil der Lösung und nicht Teil des Problems.«

Tsakalotos selbst stammt aus Verhältnissen, die ihm früh einen anderen Weg als den steinigen aus Not und Verunsicherung ermöglichten, den viele Griechen heute gehen müssen. Geboren 1960 im niederländischen Rotterdam als Sohn eines Ingenieurs, der für Reedereien arbeitete, deren Eigner so privilegiert sind, zog die Familie bald nach Großbritannien - was man Tsakalotos heute noch anmerkt: Er spricht sein Englisch mit einem unüberhörbar britischen Akzent.

Es folgten Privatschule, Studium an Spitzenuniversitäten in Oxford und Sussex, Abschluss 1989 in einer Zeit, in der in einem Teil Europas gerade der Versuch scheiterte, eine Alternative zum Kapitalismus Staat werden zu lassen. Tsakalotos, ausgebildet in Philosophie, Politikwissenschaften und Ökonomie lehrte in Kent und später in Athen. Dort, und da ist Tsakalotos keine Ausnahme in der Riege der politischen Professoren von SYRIZA, war er nicht nur Hochschullehrer, sondern auch aktiver (und bei Studenten beliebter) Teil sozialer Proteste - beim Widerstand gegen eine Bildungsreform. Teil der Bewegung werden, Teil der Gewerkschaft werden, Teil eines Linksbündnisses werden: Tsakalotos wurde zum Politiker zu einer Zeit, in der die griechische Krise ihrem ersten Höhepunkt zustrebte. Bei den Wahlen im Mai 2012 kam er zum ersten Mal ins Parlament - als Abgeordneter des Wahlkreises Athen 2. SYRIZA holte damals gut 16 Prozent. Sechs Wochen später musste erneut gewählt werden: SYRIZA kam auf 26 Prozent.

Nach den Wahlen im Januar 2015 wurde Tsakalotos Vizeaußenminister mit der Zuständigkeit für die internationalen Finanz- und Wirtschaftsfragen. Dass er Teil der Verhandlungsgruppe war, die von Anbeginn der Amtszeit der SYRIZA-geführten Koalition im Zentrum des Regierungshandelns stand, fiel kaum jemandem auf - bis er Ende April zum Koordinator ernannt wurde. Auch da schon stilisierte man ihn zum Gegen-Varoufakis, von Entmachtung des damaligen Finanzministers war die Rede, kein Dementi half gegen das so gezeichnete Bild.

Wenn man Tsakalotos fragt, was er von der Politik der Gläubiger hält, von der autoritären EU, von einer Demokratie, die sich dem Primat des Kapitalismus unterwerfen soll, dann bekommt man keine Antworten, die das gewollte Bild vom Gegen-Varoufakis stützen. Tsakalotos ist wie dieser ein Kritiker der Austeritätspolitik, ein linker Europäer, ein Marxist, der weiß, dass und warum die in Berlin orchestrierte Krisenpolitik gescheitert ist.

Es stelle sich für ihn die Frage, hat er in einem Interview nach seiner Ernennung gesagt, »ob die Europäer bereit sind, eine Regierung zu akzeptieren, die sich vom Mainstream absetzt«. In den vergangenen Wochen sah es nicht so aus. Im Gegenteil. Efklidis Tsakalotos weiß das.

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