Appetit auf Zerstörung

Im Kino: »Amy« von Asif Kapadia nähert sich der Ausnahmesängerin Amy Winehouse mit privaten Dokumenten

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Einige der besonders einprägsamen Facetten von Amy Winehouse hatten nicht direkt mit Musik zu tun. Oder besser: Ihre Hemmungslosigkeit, ihr Suchtpotenzial und ihre teils obszöne Direktheit wirkten in so starkem Kontrast zur weit verbreiteten, kontrollierten Bravheit der heutigen Jazz-Pop-Szene, dass - natürlich nur in Verbindung mit ihrer künstlerischen Virtuosität - diese persönlichen »Defizite« Winehouse erst zu dem Superstar machten, der sie vor ihrem frühen Tod 2011 war: »Sie war grenzwertig, sie konnte jeden Mann unter den Tisch saufen und drehte riesige Joints - aber sie war auch rau und ernst, ein Goldstück«, erinnert sich etwa ein Mitmusiker in Asif Kapadias neuem Dokumentarfilm »Amy«.

Große Stimmen haben viele. Es war diese an große Diven erinnernde Launenhaftigkeit, die totale Respektlosigkeit dem Musikbusiness und am Ende auch dem Publikum gegenüber und die sehr persönlichen, exzess- und drama-triefenden Texte die Winehouse in einem Kosmos meilenweit über dem »Jazz«-Geplänkel etwa einer so perfekten wie langweiligen Alicia Keys kreisen ließen.

Was nicht heißt, dass die Britin nicht »auch« künstlerisch eine ganz Große war. Kaum eine aktuelle Sängerin, die ihre Verse so scheinbar schlampig und achtlos auf die Musik warf, und doch immer Ton, Beat und vor allem Gefühl traf: »Sie hatte ein Verhältnis zur Musik wie zu einer Person. Einer Person, für die sie sterben würde«, erinnert sich ein anderer Bandkollege.

Doch auch wenn sie die Töne traf: Winehouse war schon immer - und lange vor ihrem öffentlich zelebrierten Niedergang - eine der größten Drama-Queens der britischen Popmusik des jungen Jahrtausends. Die Wurzeln für diese unzufriedene Rastlosigkeit zeigt Kapadias Film schön auf. Auch jene Quellen für das Bedürfnis nach Provokation und die später so berührende (scheinbare) Offenheit, die den Hörer (scheinbar) durch die Lautsprecher ins Innerste der Künstlerin blicken ließ.

Kapadia montierte aus zahllosen Privat-Filmen und -Fotos einen chronologischen, teils unübersichtlichen, sich am Ende aber zu einem tragischen Bild aus Künstlerin, Tochter und chaotischer Partnerin fügenden Bewusstseinsstrom. Man erlebt ein sehr bescheidenes, jüdisches Elternhaus mit einer viel zu nachgiebigen Mutter. Dann die Trennung vom Vater, die die 9-jährige Amy völlig aus der Bahn wirft. Bereits als 18-Jährige erscheint sie ihrem Produzenten Salaam Remi »wie eine 65-jährige, mit allen Wassern gewaschene Jazz-Sängerin«.

Noch 2003, nach dem ersten (nationalen) Erfolg des Debuts »Frank«, sagte Winehouse im Interview: »Ich glaube nicht, dass ich irgendwann berühmt werde. Das würde mich sowieso verrückt machen.« Was sie letztendlich von der Welt so weit entrückte, dass sie sie bereits mit 27 verließ, lässt der Film offen: Die Trennung vom Vater, der verdrogte Lebenspartner, der plötzliche Druck von Industrie und Publikum? Oder ein allgemeiner Appetit auf Zerstörung? Kapadia lässt es zum Glück offen.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal