Die Kellerkünstler laden ein

Im thüringischen Gera wird bereits zum 7. Mal die Höhler-Biennale veranstaltet - ein Fest im Untergrund

  • Doris Weilandt, Gera
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Höhlersystem aus alten Wirtschaftskellern ist eine touristische Attraktion der Stadt Gera in Thüringen. Früher lagerte dort Bier, heute sind die Höhler zum Kunstraum einer Biennale geworden.

Zum 7. Mal sind Künstler aus dem deutschsprachigen Raum ins thüringische Gera eingeladen, Installationen für das weit verzweigte Höhler-System dort zu schaffen. Als Höhler werden mittelalterliche Tiefkeller bezeichnet, in denen bis ins Industriezeitalter unter anderem privat gebrautes Bier gelagert wurde. Über 200 gibt es davon noch in der Altstadt. Unter dem Titel »Lichtfern« werden einige davon zur Kunstbiennale bespielt.

In den Höhler Nummer 10 gelangt man durch den Hausflur eines in den 1980er Jahren errichteten Wohnhauses. Hinter einer ganz normalen Kellertür führt der Weg steil in die Tiefe. Thüringer Künstler haben sich dort mit der speziellen Situation, die durch Wandnischen und Gänge erzeugt wird, beschäftigt. Mit »…wenn alles in Scherben fällt«, zitiert aus einem Lied, mit dem die Nazis ihre Missachtung für kulturelle Werte besangen, überschreibt Winfried Wunderlich seine Arbeit. Unter einem schwebenden Kreuz liegt die aus Glasscherben bestehende, leuchtende Figur des Erlösers auf dem Boden. Die Botschaft: Durch die zunehmende Ökonomisierung verliert die Gesellschaft die Hoffnung auf eine bessere Welt.

Von ganz anderer Intension ist die Arbeit von Nora Grawitter. Der Betrachter tritt durch einen Vorhang in eine Traumwelt, in der fluoreszierende Tiere auf einer nächtlichen Waldwiese weiden.

Die Projektleiterin der einmaligen Schau, Gitta Heil, führt gerade Kunstfreunde aus Marl in NRW durch die Gänge und erklärt dabei das Konzept. Alle zwei Jahre können sich Künstler für die Teilnahme bewerben. Aus der Vielzahl von Einsendungen wählt eine Jury etwa 30 Künstler aus, die sich dann intensiv mit einem Ausstellungsort auseinandersetzen. Während der Exposition wird der Deutsche Installationskunstpreis in drei Kategorien vergeben. »Für eine Reihe von Künstlern war dieser Preis ein Sprungbrett«, erzählt Heil.

In der kalten Dunkelheit haben sich viele der Teilnehmenden für Arbeiten entschieden, in denen das Licht nicht bloß Beleuchtung ist. In »Sythetische Synapsen« (Uschi Frank/Walter Gramming), »Der Teil und das Ganze« (Gerald Hofmann), »Konservatorium für blaue Himmel« (Oliver Huet) und »En…« (Sven Schmidt) ist Licht der eigentliche Kunstgegenstand, der inszeniert wird.

Dass Kellergewölbe wie die Höhler auch den Reiz des Schaurig-Schönen haben, inspirierte verschiedene Künstler. So vermehren sich bei Annina Hohmuth illuminierte Becherlinge in einer Nische. Sie wirken völlig natürlich und scheinen dort gewachsen zu sein. Janine Hönig überrascht mit Amöben, die sich auf dem spärlich beleuchteten Fußboden der Gänge ausgebreitet haben. Um in die dunkle Grotte hineinzusehen, die Albrecht Fersch gestaltete, muss der Besucher selbst zur Lampe greifen. Es ist die Behausung eines nicht sichtbaren Wesens. Das Innere ist mit knorrigen, behaarten Ästen verstellt und wie ein Gespinst ineinander gewoben.

Menschlich und vertraut dagegen das Archiv von Oliver Helm mit dem Titel »Nachlass«. In Regalen hat er allerlei Dinge versammelt, die Rückschlüsse auf den Besitzer zulassen. Ein Arbeitstisch mit Lampe lädt zum Verweilen ein, zum Studium der Papiere, die ordentlich aufgestapelt sind.

Philipp Geist ist der einzige Künstler, der mit Video arbeitet. In seiner Rauminstallation »Riverine Zone« beschäftigt er sich mit Flüssen und Bächen auf der ganzen Welt. Im Verlauf mehrerer Jahre filmte er in Rio de Janeiro, London, Vancouver, Bangkok, Berlin und auch an der Weißen Elster von Gera mit einer Unterwasserkamera die unmittelbare und ferne Realität unter der Wasseroberfläche. Der Besucher taucht in einen eigenen Kosmos ab, trifft unbekannte Flora und Fauna, aber auch Unrat. Beim Auftauchen werden die Städte von Wasser aus in ungewöhnlichen Perspektiven wahrgenommen.

Nach mehreren Höhlern geht es wieder zum Licht. Die Kunstfreunde aus Marl sind begeistert, welche Schätze Gera unter der Erde zu bieten hat.

Die 7. Höhler-Biennale in Gera läuft noch bis zum 18. Oktober, Mi bis So von 11 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung; Kontakt: Tel./Fax: 0365/832 13 00; www.hoehlerbiennale.de

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