Aufschwung trotz Abstieg in Aue

Folge 69 der nd-Serie »Ostkurve«: FC Erzgebirge

Schnell zurück in Liga zwei: Nach dem Abstiegsdrama arbeitet der FC Erzgebirge an einer besseren Zukunft. Und kämpfen mussten sie in Aue schon immer.

Helge Leonhardt steht auf der blauen Tartanbahn im Erzgebirgsstadion und lacht. Nicht ausgelassen fröhlich, sein Blick verrät es. Aus den Augen blitzt Bitterkeit. Laut wiederholt er die Frage: »Ob die vergangene Saison komplett aufgearbeitet ist?« Dabei schaut er sich suchend um, ob irgendjemand in seiner Nähe steht, um sein Unverständnis zu teilen. Im Innenraum des Stadions ist viel los, das erste Spiel der neuen Saison in der 3. Liga gegen den VfL Osnabrück ist gerade abgepfiffen worden. Schnell findet der Präsident des FC Erzgebirge Aue hier und da ein zustimmendes Nicken. Dann spricht er von Beschiss und Betrug, »ganz dramatischen Wochen« nach dem Zweitligaabstieg im Mai 2015 und »drei Millionen Euro« die er gern vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) hätte.

Bei den letzten Worten zwinkert Leonhardt. Und lacht. Über seinen eigenen Witz der Millionenforderung - und ganz ohne negative Schwingungen. Aber ab und an kommt der Frust eben noch mal hoch: über klare Fehlentscheidungen der Schiedsrichter in den letzten Spielen der vergangenen Saison, über die Benachteiligung des eigenen Vereins und die Bevorteilung der Konkurrenten, vor allem 1860 München. Sechs Tore hatten dem FC Erzgebirge letztlich gefehlt, um statt der Bayern in der Relegation antreten zu können. Nur einen Punkt betrug der Rückstand auf den ersten Nichtabstiegsplatz. »Wir haben alle zusammen bitterlich geweint«, erinnert sich Leonhardt. Die Enttäuschung in Aue war umso größer, weil die Mannschaft des FC Erzgebirge in der Rückrunde der vergangenen Zweitligasaison mit 23 Punkten noch mal eine so große Hoffnung auf den Klassenerhalt entfacht hatte. Insofern bestimmt auch die eigene Unzulänglichkeit aus der ersten Saisonhälfte den Frust.

Wie jeder Zweitligaabsteiger hat auch der FC Erzgebirge seine Probleme mit der neuen Spielklasse, die der DFB beständig als »Erfolgsmodell« anpreist. In der 2. Bundesliga bekam Aue rund sechs Millionen Euro aus der Vermarktung der Fernsehrechte. Alle 20 Drittligaklubs erhalten zusammen gerade mal 12,8 Millionen Euro. Die Hälfte des Zweitligageldes, diese drei Millionen, hätte Leonhardt also gern vom DFB als Entschädigung.

Auch wenn in Aue damit die Wochen nach dem Abstieg nicht ganz so dramatisch gewesen wären: Träumen, nicht mal im Spaß, ist nicht das Ding der Fußballarbeiter in Westsachsen. »Wir mussten innerhalb von sechs bis acht Wochen den Klub komplett restrukturieren, also die Kostenstruktur den Lizenzbedingungen der 3. Liga anpassen« erzählt Leonhardt. »Und wir standen ja auch ohne Trainer und Mannschaft da. Innerhalb von 30 Tagen mussten wir 15 bis 18 neue Spieler finden.« Mit Pawel Dotschew als neuem Coach wurde man sich zuvor schnell einig.

Dem unglaublich großen Gemeinschaftsgefühl in Aue schreibt Helge Leonhardt das gute Gelingen dieses Kraftaktes zu. »Unser Vorteil ist, dass es bei uns eine sehr bodenständige und auch anerkannte Struktur gibt. Wir haben acht Hauptsponsoren, die alle über hunderttausend Euro geben. Und einige diese Sponsoren haben sogar aufgekohlt und geben mehr Geld als in der 2. Liga. Auch alle Premium- und Co-Sponsoren halten weiterhin zum Klub«, umreißt der Präsident die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei seinem Klub. Und so gab es nach dem Abstieg auch keine Entlassungen beim FC Erzgebirge.

Diese besondere Zusammengehörigkeit ist jahrzehntelang in Aue gewachsen. Als in der DDR die Einführung von Sportclubs beschlossen wurde, wurde am 13. November 1954 aus der BSG Wismut Aue der SC Wismut Karl-Marx-Stadt. In der rund 40 Kilometer von Aue entfernten Bezirkshauptstadt hatte der Trägerbetrieb Wismut seine Zentrale. Zu dem von der DDR-Sportführung befohlenen Umzug nach Karl-Marx-Stadt kam es aber nie: Die Kumpel im Schacht waren stinksauer und hatten wohl auch mit Streiks gedroht. Zudem sorgte eine republikweite Sympathiewelle letztlich für den Verbleib des Fußballklubs in Aue, der ab 1. Juli 1963 auch wieder BSG Wismut hieß und mit insgesamt 1019 Partien in der DDR-Oberliga die meisten aller Vereine gespielt hat.

Tobias Willers steht auch auf der blauen Laufbahn des Erzgebirgsstadions. »Drittligafußball ist eklig«, sagt der Kapitän des VfL Osnabrück nach dem 0:0 zum Drittligaauftakt am vergangenen Wochenende. Diese Meinung teilen sie auch im Erzgebirge. Aues Neuzugang Simon Skarlatidis ist der einzig spielerische Lichtblick in einer hart geführten und umkämpften Partie. Aber leicht hatten es die Mannschaften aus Aue nie - abgesehen von drei Meistertiteln als SC Wismut Karl-Marx-Stadt auch nicht in der DDR-Oberliga; und auch nicht nach der politischen Wende. Die beiden Aufstiege 2003 und 2010 in die 2. Bundesliga sind angesichts der finanziellen Rahmenbedingungen des Klubs beachtliche Erfolge.

Mindestens ebenso beachtlich ist die Entwicklung des Klubs unter Helge Leonhardt. »In den vergangenen zehn, zwanzig Jahren stagnierten wir ein wenig«, erzählt er, »bei meinem Amtsantritt im September 2014 hatten wir 2400 Mitglieder. Jetzt sind es 5800.« Der Aufschwung ging sogar nach dem Abstieg weiter. Als Dankeschön für die Unterstützung und Treue der Fans sind sie in dieser Saison Trikotsponsor. Für den »Kumpelverein« werben die Spieler auf ihrer Brust, finanziert durch die Mitgliedsbeiträge.

Die Angst der Fans um ihren Klub hat sicherlich auch zu dieser großen Unterstützung geführt. Die Ungewissheit, wohin die Reise der Mannschaft in dieser Saison geht, nagt an ihnen. Nichts für den Profifußball, allenfalls regionalligatauglich sei der Kader, lautete der Tenor in den lokalen Medien im Vorfeld der Saison. Und so wird beim Spiel gegen Osnabrück auf den Tribünen nicht nur angefeuert und gesungen, sondern auch geschimpft - über den Schiedsrichter, den Gegner und auch mal über eigene Spieler. Artikulierte Angst.

Diese will Helge Leonhardt den Fans aber nehmen. Die Mannschaft soll noch verstärkt werden. Viel wichtiger aber: Es sollen notwendige Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit in Aue bald wieder Zweitligafußball gespielt werden kann. »In den nächsten zwei Jahren wollen wir wieder angreifen«, sagt er. Das neue Nachwuchsleistungszentrum mit 44 Internatsplätzen ist fast fertig. Und im November ist endlich Baubeginn für das neue Stadion. Die Arena für 16 000 Zuschauer kostet 20 Millionen Euro und wird größtenteils vom Landkreis finanziert. Der FC Erzgebirge bezahlt nach der geplanten Fertigstellung Ende 2017 dann eine ligaabhängige Miete. »Wer Profifußball will, braucht professionelle Bedingungen. Sonst bekommst du niemanden nach Aue«, sagt Leonhardt und blickt sich um: »In einigen Bereichen unseres Stadions kann man ja ›Good bye Lenin‹ drehen.« Er lacht. Diesmal laut und aus tiefster Seele.

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