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Kurt Gerstein

Kalenderblatt

  • Martin Stolzenau
  • Lesedauer: 2 Min.

Er war nach 1945 lange umstritten. Als Obersturmführer im »Hygiene-Institut der Waffen-SS« wurde er Augenzeuge des Holocaust, der ihn zutiefst erschütterte. Kurt Gerstein informierte über geheime Kanäle die Alliierten über das Grauen. Aber man glaubte ihm nicht. Später, in alliierter Kriegsgefangenschaft verfasste er einen ausführlichen Bericht über den Mord an den Juden, auf den sich die Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess stützte. Aus dem Zeugen der Anklage wurde jedoch ein Angeklagter. Unter mysteriösen Umständen starb Gerstein in französischer Haft. Erst Rolf Hochhuth korrigierte in seinem Bestseller »Der Stellvertreter« den Irrtum und machte Gersteins Verdienst als Saboteur des Holocaust öffentlich. Inzwischen rehabilitiert, ist dessen Name auf einer Gedenktafel der Jüdischen Gemeinde in Paris verewigt; israelischen Historikern gilt er als ein »Gerechter«.

Am 11. August 1905 im westfälischen Münster als sechstes von sieben Kindern des dortigen Landgerichtspräsidenten geboren, war Kurt Gerstein das »Enfant terrible« der Familie, bis er sich der protestantischen Jugendbewegung anschloss und in Marburg, Aachen und Berlin Bergbau studierte. 1933 bewog ihn seine standes- und aufstiegsorientierte Familie zum Eintritt in die NSDAP. Doch kollidierte er mit dieser alsbald mehrfach, wurde von der Gestapo wegen der Verbreitung staatsfeindlicher Schriften verhaftet und dann aus der NSDAP ausgeschlossen. Während er in Tübingen noch ein Medizinstudium aufnahm, lernte er Elfriede Bengsch kennen. Die Trauung der beiden nahm Generalsuperintendent Otto Dibelius vor, der nach 1945 als Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands den Militärseelsorgevertrag mit der Regierung der noch jungen Bundesrepublik abschließen sollte.

Gerstein wurde im Sommer 1938 wegen Opposition in aller Öffentlichkeit erneut verhaftet und ins KZ Welzheim überstellt. Wieder ließ die Familie ihre Beziehungen in höchste Ämter spielen. Wieder kam Gerstein frei. Fortan wollte er nur noch im Verborgenen gegen die Nazis wirken. So trat er 1941 in die SS ein, um die Bestie von innen zu bekämpfen. Er fühlte sich als »Spion Gottes«. Über seine Beobachtungen in Belzec und Treblinka informierte er Dibelius und Martin Niemöller sowie schwedische und Schweizer Diplomaten. Zu Kriegsende, auf dem Wege nach Tübingen, wo seine Familie lebte, wurde Gerstein in Rottweil von den Franzosen gefangen genommen. Im Hotel »Zum Mohren« verfasste er den berühmten »Gerstein-Bericht«. Anschließend ins Pariser Militärgefängnis Cherche-Midi verlegt, wurde er dort am 25. Juli 1945 in seiner Zelle erhängt aufgefunden. Selbstmord? Nicht nur Hochhuth, auch zwei französische Biografien rehabilitierten ihn. In Hagen-Berchum, wo er einst ein Bibelkreis-Heim leitete, hält ein Förderkreis die Erinnerung an ihn wach.

Martin Stolzenau

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