Rot-rot-grüne Kritik am »Zuchtmeister Europas«

Papier von Bundestagsabgeordneten für Kurswechsel in der Krisenpolitik: Griechenland darf nicht »Schuldenkolonie« bleiben / Wagenknecht für »echten Schuldenschnitt« / DIW-Chef für wachstumsabhängige Senkung

  • Vincent Körner
  • Lesedauer: 5 Min.

In einem gemeinsamen Papier haben rot-rot-grüne Bundestagsabgeordnete eine deutliche Kursänderung in der Krisenpolitik gefordert. Kurzfristige müsse »eine wirkliche Lösung« für Griechenland auf drei Bausteinen basieren, heißt es in einem »Denkanstoß« von Lisa Paus (Grüne), Marco Bülow (SPD) und Axel Troost (Linkspartei): »Erstens eine verbindliche Vereinbarung über längere Stundungs- und Rückzahlungszeiträume für laufende und neue Kredite. Zweitens sollten auf der Basis einer solchen Regelung auch die griechischen Kreditverpflichtungen gegenüber IWF und EZB durch den ESM übernommen werden. Drittens müsste der später zu leistende Zinsdienst abhängig von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes gemacht werden.«

In ihrem unter dem Dach des »Instituts Solidarische Moderne« erschienenen 14-seitigen Diskussionsbeitrag drängen die drei Parlamentarier »anstelle einer Politik von ultra-kurzfristigen Kreditverlängerungen« auf »eine langfristige Schuldentragfähigkeit« über einen Zeitraum von drei Jahren hinweg, in dem jetzt das neue Kreditprogramm gelten soll. Bei diesem bestehe die große Gefahr, dass Griechenland »nicht auf den vereinbarten Schuldenabbaupfad kommt und – ähnlich wie zahlreiche über- schuldete Staaten – immer gerade so viel an Erleichterung gewährt wird, wie aktuell nötig ist, um das Schlimmste zu verhindern, und somit auf absehbare Zeit eine Schuldenkolonie am Rande Europas bleibt«.

Das politische Problem geht nach Ansicht von Paus, Bülow und Troost aber noch viel weiter. »Der Konflikt um Griechenland hat partiell verdeckt, dass die ökonomisch-sozialen Divergenzen in Europa immer weiter zunehmen. Solange es die Währungsunion gibt, wird selbst die Erhaltung des gegenwärtigen Abstands zwischen den reichen und armen Mitgliedstaaten, von der erhofften wirtschaftlichen Konvergenz ganz zu schweigen, nur durch wie immer deklarierte Ausgleichs-, Unterstützungs-, Hilfs- und sonstige Zahlungen überhaupt vorstellbar sein«, schreiben die drei Abgeordneten in ihrem »Denkanstoß«. Gewährt würden derartige Mittel »im Regime der neoliberalen Vorherrschaft aber nur gegen Kontrolle, also verbunden mit tiefen Eingriffen von außen, in die staatliche Souveränität der Empfängerländer«. Durch die dabei auftretenden Konflikte werde sich die Innenpolitik der Währungsunion weiter »nationalistisch polarisieren. Deutschland ist heute faktisch europäische Hegemonialmacht und agiert als Stabilitäts- und Wettbewerbshüter sowie letztlich als Zuchtmeister der europäischen Völker«, so die Kritik.

Für einen politischen Richtungswechsel und eine echte Unterstützung der SYRIZA-geführten Regierung habe sich die politische Linke in Deutschland als zu schwach erwiesen, heißt es weiter. Es bleibe »leider ebenso wahr: Die deutschen und europäischen Parteien aus dem pluralen Mitte-Links-Spektrum, die Gewerkschaften und die kapitalismuskritischen NGO der Zivilgesellschaft waren nicht stark genug, um die griechische Protestbewegungen sowie SYRIZA ausreichend zu unterstützen und eine solidarische europäische Lösung der Finanzkrise zu ermöglichen. Gerade das Kräfteverhältnis in Deutschland ist aber wichtig, da Deutschland in der EU dominanter denn je ist und diese Dominanz gnadenlos ausspielt.«

Die Vizevorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, forderte unterdessen abermals »einen echten Schuldenschnitt« für Griechenland. Dies wisse wahrscheinlich auch Kanzlerin Angela Merkel, sagte die Bundestagsabgeordnete. »Sie kann es nur nicht zugeben, denn es wäre das Eingeständnis, dass ihre Totsparpolitik gescheitert ist und sie viele Milliarden Euro an Steuergeld völlig sinnlos verschleudert hat.« Ohne Schuldenschnitt werde die griechische Schuldenquote nach der offiziellen Prognose der Gläubiger im nächsten Jahr bereits einen Wert von 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten. »Statt Griechenland auf Dauer in eine Schuldenkolonie zu verwandeln«, so Wagenknecht, solle die Bundesregierung einen »Schuldenschnitt, ein Ende der unsozialen Kürzungsdiktate und ein Aufbauprogramm für Griechenland« anstreben. Auch müsse es einen »Abbau der extremen Ungleichgewichte in der Eurozone über höhere Löhne und Renten in Deutschland« geben.

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, forderte eine wachstumsabhängige Senkung der griechischen Schuldenlast. Eine ähnliche Forderung hatte auch schon früher der ehemalige Finanzminister Griechenlands, Yanis Varoufakis, formuliert.

»Um wieder Wachstum zu bekommen, ist also die Reduzierung des Schuldenbergs wichtig«, sagte Fratzscher der »Rheinischen Post«. Die Schuldenrückzahlung solle an die Entwicklung des Wirtschaftswachstums gekoppelt werden. »Die Idee ist: Wenn die griechische Wirtschaft nicht wächst, leistet das Land keine Zins- und Tilgungszahlungen«, so Fratzscher. »Wenn sie wieder wächst, steigen die Zinsen und die Schuldenrückzahlungen proportional zum Wachstum.« Die Schuldenlast Griechenlands werde im nächsten Jahr auf 200 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen, weil die Wirtschaft noch weiter schrumpft. »Mit einer solchen Quote ist es unmöglich, wieder Vertrauen bei Investoren herzustellen«, sagte Fratzscher. »Nur durch Investitionen kommt aber das Wachstum zurück«, sagte der Ökonom.

Vor der Abstimmung über das Kreditprogramm im Bundestag beraten am Dienstag die Fraktionen. Dabei wird es teils auch Probeabstimmungen geben, mit Spannung wird vor allem das Ergebnis in der Unionsfraktion erwartet, in der mit rund 60 Nein-Stimmen zu dem Kreditprogramm gerechnet wird. Eine Mehrheit gilt aber dennoch als sicher, die SPD wird wohl fast geschlossen zustimmen, bei den Grünen ist ebenfalls mit überwiegender Zustimmung zu rechnen. Die Linksfraktion wird mehrheitlich mit Nein votieren.

Die »Süddeutsche Zeitung« berichtet derweil unter Berufung auf die Beschlusspapiere für die Abstimmung im Bundestag am Mittwoch, dass der Finanzbedarf Griechenlands um weitere 6,2 Milliarden Euro gewachsen sei - dieser liegt laut dem insgesamt 144 Seiten umfassenden Antrag des Bundesfinanzministeriums (Seite 6 des Dokuments) summiert bei etwa 92 Milliarden Euro, das Kreditprogramm soll weiterhin einen Umfang von etwa 86 Milliarden Euro haben. Diese Zielsumme könne aber nur gehalten werden, so das Blatt, weil bereits zwei Milliarden Euro aus Primärüberschüssen und rund sechs Milliarden Euro aus Privatisierungserlösen »bedarfsmindernd« in die Schätzung der Institutionen für den Zeitraum bis 2018 eingeflossen seien.

Am Grundproblem des so genannten »Rettungspakets« ändert sich freilich nichts: Neue Schulden werden unter umstrittenen politischen Auflagen aufgenommen, um alte Kredite zu bedienen, ein nachhaltiger Ausweg aus der Schuldenkrise ist für Griechenland nicht in Sicht. mit Agenturen

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