Warum Moskaus Premier Medwedjew Tokio verärgert hat

Auch 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges bleiben die Kurilen zwischen Russland und Japan umstritten

  • Axel Eichholz, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Russland und Japan streiten seit Jahren um die Kurilen. Nach einem Besuch von Regierungschef Medwedjew auf der Insel Iturup steht nun die Reise von Präsident Putin nach Tokio auf der Kippe.

Der russische Regierungschef Dmitri Medwedjew hat am Wochenende die zu den südlichen Kurilen gehörende Insel Iturup besucht - und einen diplomatischen Eklat zwischen Tokio und Moskau ausgelöst. Der russische Botschafter in Tokio, Jewgeni Afanassjew, bekam einen Anruf vom japanischen Außenministerium: Die Reise beleidige die Gefühle des japanischen Volkes, hieß es. Anschließend bestellte Minister Fumio Kishida den Botschafter ins Außenamt. Er zeigte sich besorgt über einseitige Handlungen Moskaus und forderte eine konstruktive Haltung mit Blick auf die bilateralen Beziehungen und den Abschluss des seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ausstehenden Friedensvertrages. Sein geplanter Russland-Besuch werde auf einen späteren Zeitpunkt verschoben oder sogar ganz abgesagt, hieß es.

Das klang später bei einem Sprecher der russischen Botschaft gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax etwas anders. Von verschieben oder absagen könne keine Rede sein, weil es noch keinen Termin gebe. Das war auch ein Wink mit dem Zaunpfahl Richtung Tokio, weil Außenminister Kishida den Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Herbst in Japan vorbereiten sollte. Offenbar lege der Kreml keinen gesteigerten Wert darauf, so die Zeitung »Nesawissimaja Gaseta«.

70 Jahre Friedensvertrag

Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel der gesamte Inselbogen der
Kurilen im Rahmen der Beschlüsse von Jalta an die Sowjetunion.
Im Friedensvertrag von San Francisco verzichtete Tokio auf den
Gebietsanspruch, doch hat Moskau den Vertrag 1951 nicht unterzeichnet.
1956 erklärte sich die Sowjetunion bereit, zwei südliche
Kurileninseln, Shikotan und die unbewohnbare Habomai-
Inselgruppe, nach Abschluss eines Friedensvertrages an Japan zu
übergeben. Präsident Wladimir Putin bestätigte diese Bereitschaft
– doch wollte Tokio alle vier Inseln haben. Die japanischer Drohung,
keinen Friedensvertrag zu unterzeichnen, wird in Moskau
nicht ernst genommen. Schließlich habe Russland 70 Jahre lang
ohne diesen gelebt. eich

Die japanische Regierung hatte bereits Wochen vor dem Besuch des russischen Ministerpräsidenten auf den Kurilen dagegen protestiert. Der Generalsekretär des Kabinetts, Yosihide Suga, bat Medwedjew, die Reise abzusagen. Aus dem Moskauer Außenministerium kam die Antwort, die japanischen Wünsche könnten bei der Planung der Reisen des russischen Regierungschefs und der Minister nicht berücksichtigt werden. Der Anspruch Tokios auf die südlichen Kurileninseln entbehre jeder Grundlage. Es handle sich um Versuche Japans, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges in Frage zu stellen.

Medwedjew selber äußerte sich versöhnlicher: »Wir wollen mit Japan gute Freunde bleiben, das hat mit den Kurilen aber nichts zu tun«. Allerdings: Diese seien Teil Russlands, und »wir haben die Inseln früher besucht, tun es jetzt und werden es auch künftig tun«, so der Regierungschef. Medwedjew selbst hatte die Insel Shikotan während seiner kurzen Präsidentschaft zwei Mal bereist.

Dabei geht es nicht nur um Symbolik. Wie Medwedjew jetzt erklärte, habe sich Russland den Zugriff auf große Teile des Festlandsockels im Ochotskischen Meer gesichert. Es handelt es sich um 50 000 Quadratkilometer Meeresboden. »Das bedeutet, dass wir unseren Festlandsockel bewirtschaften können, und dort sind große Rohstoffvorkommen und große Energiequellen«, sagte der Ministerpräsident in Kurilsk.

Neben der Öl- und Gasförderung wolle Russland auf den Kurilen die Goldproduktion massiv ausweiten sowie Fischfabriken mit Lachszuchtanlagen errichten, wie die Agentur Interfax vermeldete. Wie Medwedjew betont, stehe die Verordnung über den Zugriff auf den Festlandsockel im Einklang mit internationalem Recht stehe.

Der Leiter des Zentrums für Japanforschung am Fernostinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften, Waleri Kistanow, stellt eine Verhärtung der Moskauer Haltung in der Kurilenfrage fest. So häuften sich die Besuche hoher russischer Politiker und Beamter auf den umstrittenen Inseln. Die Gesundheitsministerin Veronika Skworzowa etwa sei im Juli auf Shikotan gewesen. Der Präsidentenbeauftragte für den Fernen Osten , Juri Trutnjew, habe Iturup besucht. Verteidigungsminister Sergej Schoigu sprach von der Notwendigkeit, die Verteidigung der Inseln zu verstärken. Zudem habe die russische Staatsduma neue und für Japan sehr empfindliche Restriktionen für den Fischfang in der russischen Wirtschaftszone verhängt.

Tokio wiederum hat Präsident Putin verärgert, als man den Anschluss der Krim an Russland verurteilte und sich westlichen Sanktionen anschloss - wie man in Moskau glaubt, ohne zwingende Notwendigkeit. Die Japaner machten nur unnötigen Lärm, schrieb Vizeregierungschef Dmitri Rogosin in seinem Twitteraccount.

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