»Sie weiß nicht, wo ihre Kinder sind«

Unter dem Dach von Erstaufnahmeeinrichtungen bündeln sich Dramen aus verschiedenen Regionen der Welt

  • Birgit Reichert, Trier
  • Lesedauer: 3 Min.
Rheinland-Pfalz erwartet mit fast 39 000 Flüchtlingen nahezu viermal so viele Menschen in Not wie 2014. Die Angekommenen können aufatmen und bangen weiter.

Rasol Sharifi steht verloren vor der Flüchtlingsunterkunft. In der Hand hält er einen Zettel mit den Namen seiner drei Kinder. Er habe zwei Söhne und eine Tochter bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland aus dem Blick verloren, erzählt der Afghane. »Sie kamen in ein anderes Boot.« Seit zwei Wochen ist der 53-Jährige in der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) in Trier untergebracht. »Seitdem sucht er seine Angehörigen. Wie viele andere auch«, sagt Landsmann Nazir Ahmad Ahmadzai (28) und deutet auf eine Frau, die auf den Boden starrt. »Sie weiß nicht, wo ihre Kinder sind.«

Es sind Schicksale aus aller Welt, die unter dem Dach der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Rheinland-Pfalz in Trier aufeinandertreffen. Rund 1750 Menschen aus 28 Nationen sind es derzeit - in Containern und Gebäuden, die einst zur Unterbringung für 700 schutzsuchende Menschen ausgelegt waren. »Wir sind an der Kapazitätsgrenze angelangt. In allen Bereichen«, sagt der stellvertretende Leiter der AfA Trier, Thomas Pütz. Die älteste und größte Erstaufnahme im Land ist chronisch überbelegt.

»Wir arbeiten mit oberster Priorität daran, dass die Menschen eine Unterkunft erhalten«, sagt die Präsidentin der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) Trier, Dagmar Barzen. Und das heißt bei der schier explodierten Zahl von schutzsuchenden Menschen: Die Notunterkünfte müssen weiter aufgestockt werden - bis die zusätzlichen Dauereinrichtungen an den Start gehen. Jeden Tag kommen etwa 200 Menschen neu an.

Die Zeltstadt auf dem Flugplatz Bitburg etwa wuchs am vergangenen Wochenende um gut 120 Plätze auf 500, am Flughafen Hahn kamen weitere Kapazitäten dazu. Im pfälzischen Kusel sollen auf dem Gelände einer künftigen AfA in dieser Woche Notzelte aufgebaut werden. Wenn die geplanten weiteren AfAs ab Herbst eröffnet werden, gebe es Entlastung, sagt Barzen, deren Behörde für die Erstaufnahme von Flüchtlingen im Land zuständig ist. »Ich stelle mich aber langfristig auf eine Herausforderung ein.«

Der große Ansturm sei eine »Mammutaufgabe«, die ohne ehrenamtliche Hilfe »überhaupt nicht zu bewältigen« sei, betont Barzen auf einer Tour zwischen Stationen in Unterkünften in Trier, Hermeskeil und Bitburg. Es müsse aber besser koordiniert werden. »Gut gemeint ist oft nicht gut gemacht«, fügt eine Sprecherin der ADD hinzu. Die Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz werde künftig mit einem landesweiten Ehrenamtskoordinator einsteigen.

»Ich bin wirklich sehr froh, in Deutschland zu sein«, erzählt derweil Adhanom Tesfamariam aus Eritrea. In der AfA in Trier seien aber zu viele Menschen. »Es ist schwierig.« Manche Menschen schlafen auf Matratzen in den Fluren, andere in Zelten vor dem Haus. Trotz der Enge: »Die Lage ist noch relativ entspannt«, meint Hausherr Pütz.

In diesem Jahr werden in Rheinland-Pfalz mit fast 39 000 Flüchtlingen nahezu viermal so viele Menschen in Not erwartet wie 2014. Deshalb baut das Land sein Unterbringungsnetz aus: Insgesamt soll es sechs AfA-Zentren plus Außenstellen mit insgesamt 7400 Plätzen geben.

In der Spielstube der Trierer AfA toben Kinder. Wichtig dabei: Die Tür steht immer offen. »Die Kinder müssen immer schauen können, ob ihre Eltern noch da sind«, erzählt Leiterin Ulrike Ruff. Für die rund 75 Kinder, die kommen könnten, sei es einfach nur schön, Spielsachen in der Hand zu haben. »Es gibt Kinder, die haben jahrelang nicht mehr gespielt. Und es gibt Kinder, die haben noch nie erlebt, dass es Spielsachen gibt.« dpa/nd

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