Milchbauern legen EU-Viertel lahm

Europaweiter Landwirteprotest in Brüssel - Kommission will 500 Millionen freigeben

  • Katharina Strobel, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Tausende europäische Milchbauern haben anlässlich Treffens der Agrarminister am Montag das EU-Viertel lahmgelegt. Ein Sondertreffen der EU-Agrarminister ist mit dürftigen Ergebnissen zu Ende gegangen.

Tausende europäische Milchbauern samt Traktoren haben anlässlich eines Sondertreffens der Agrarminister am Montag das Brüsseler EU-Viertel lahmgelegt. »Es ist die schlimmste Krise, die wir je hatten«, sagte Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter. Nicht nur die Zukunft produzierender Betriebe, sondern auch der ländliche Raum insgesamt stehe auf dem Spiel. Die Großdemo in Europas inoffizieller Hauptstadt folgte auf zahlreiche Manifestationen auf nationaler Ebene.

Die europäischen Milchbauern halten ihre Meinung nicht zurück: An den Kragen gehen soll es den europäischen Politikern, wenn sie so weiter machen wie bisher, nämlich den Export propagieren und die Milchbauern bei fallenden Preisen so zu noch mehr Produktion animieren. EU-Agrarkommissar Phil Hogan, als Strohpuppe drapiert, baumelte leblos in der Schlinge eines Schleppers. »Hogan will, dass wir für 30 Cent pro Liter produzieren. Wer das nicht schafft, soll seinen Betrieb dichtmachen«, schimpfte Erwin Schöpges, Vertreter einer belgischen Milcherzeuger-Interessengemeinschaft. »Der Mann ist fehl am Platz«.

Ob Martin Kemmethmüller aus Mittelfranken, Doris Buhl aus Konstanz, Stefan Gard aus Schweden oder Marie Guerard aus Belgien - sie alle sehen in ihren Betrieben, die zum Teil seit Generationen in Familienbesitz sind, keine Perspektiven mehr, wenn die Politik sich nicht ändert. »Es ist die dritte Milchkrise in den vergangenen sechs Jahren«, erklärte Kemmethmüller, »das hält kein Betrieb aus.«

Der Bauer unterstützt die Forderungen des European Milk Boards (EMB), des Dachverbands europäischer Milcherzeugerverbände, der rund 100 000 Landwirte vertritt. Dieser will eine Drosselung der Milchproduktion in Krisenzeiten durchsetzen. Derzeit bekommen die Bauern in Deutschland maximal 28 Cent pro Liter Milch, die Erzeugung kostet sie im Schnitt 40 Cent. Über eine Produktionsreduktion gegen eine Bonuszahlung, so der EMB, solle schonend eine Preisstabilisierung erreicht werden. Seit dem Wegfall der Milchquote im Frühjahr können die Landwirte in der EU so viel Milch erzeugen, wie sie wollen. Die große Menge lässt die Preise purzeln.

Der Ansicht des EMB gegenüber steht der Ansatz der EU-Kommission und von Bundeslandwirtschaftsminister Christoph Schmidt (CSU), der auch vom Deutschen Bauernverband (DBV) vertreten wird: »Konkret gilt es, kurz- mittel- und langfristig Sektoren übergreifend zukunftsfähige Absatzmärkte in Drittländern zu erschließen«, erklärte DBV-Präsident Joachim Rukwied. Zusätzlich zur Exportförderung solle den Bauern mit vorzeitigen Direktzahlungen unter die Arme gegriffen werden.

Doris Buhl, 50 Jahre alt und seit 30 Jahren im Milchgeschäft, ernährt sich und ihren Familienbetrieb derzeit mit Hilfe eines Hofladens und einer Biogasanlage. Die Milchproduktion mit 60 Kühen sei dagegen ein Minusgeschäft, Rechnungen blieben liegen. »Wir haben vor zehn Jahren in einen neuen Stall investiert, wir werden das Viehgeschäft weiter betreiben. Aber meinen Kindern kann ich dazu nicht raten«, so Buhl. Die Kinder von Stefan Gran, Milchbauer und Vorsitzender des schwedischen Milchbauernverbandes, haben bereits auf Computertechnik und Tischlern umgesattelt.

Das Gebäude, in dem die Landwirtschaftsminister zeitgleich tagten, war von der Polizei hermetisch abgeriegelt. Dass die lautstarke Botschaft trotzdem durch Absperrungen und Mauerwerk drang, davon ist auszugehen. »Wir werden unseren Mund nicht halten«, schloss Schöpges. »Wir werden unsere Aktionen weiterführen, bis wir mit dem Ergebnis zufrieden sind.«

Von weiteren Protesten ist auszugehen, denn laut Diplomaten gab es unter den Ministern keine Mehrheit für staatliche Eingriffe wie etwa eine Erhöhung des Interventionspreises. Immerhin will die EU-Kommission eine halbe Milliarde Euro für Bürgschaften oder zinsgünstige Darlehen bereitstellen. Das Geld ist im Haushalt vorhanden, denn es stammt aus der Abgabe, die Milchbauern zahlen mussten, wenn sie die bis zum Frühjahr geltende Milchquote überschritten hatten. Dieses Paket könne »sofort zum Nutzen der Bauern eingesetzt werden«, sagte EU-Vizekommissionschef Jyrki Katainen.

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