Linke will Etatüberschüsse für Flüchtlinge einsetzen

Bartsch fordert »erheblichen Teil dieses Geldes« für Zufluchtsuchende / Auch Stopp der »Politik der Erpressung und der Spardiktate« verlangt / Schäuble räumt Flüchtlingskrise Vorrang in Haushaltspolitik ein

  • Lesedauer: 7 Min.

Update 12.00 Uhr: Opposition spricht Schäubles Budget die Zukunftstauglichkeit ab- Grüne und Linke fordern mehr Ausgaben für Investitionen
Die Opposition hat der Bundesregierung Versäumnisse in der Haushaltspolitik vorgeworfen. Der Grünen-Haushaltsexperte Sven Christian Kindler kritisierte am Dienstag in der Haushaltsdebatte des Bundestags einen Mangel an Zukunftsorientierung im Budgetentwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). In der Tat sei »jetzt ein günstiger Zeitpunkt mit sehr glücklichen Umständen im Haushalt«, sagte Kindler. Deswegen verstehe er nicht, dass Schäuble den Haushalt »nur mutlos verwaltet«.

Die Regierung müsse mehr investieren, die Ausgaben für Bildung weiter erhöhen, mehr für die Krankenversorgung ausgeben und die Kommunen weiter entlasten, forderte der Grünen-Haushälter. Dafür sei angesichts der guten Budgetlage nun der richtige Zeitpunkt gekommen: »Da muss man jetzt nicht kleckern, sondern klotzen«, sagte Kindler. »Ich wünsche mir weniger Selbstlob und mehr Zukunftsorientierung.« Mit der Reaktion der Bundesregierung auf die Flüchtlingskrise zeigte sich Kindler unzufrieden: Er sehe »keine große Idee, kein großes Konzept«.

Auch Linken-Fraktionsvize Dietmar Bartsch warf der Koalition vor, in der Haushaltspolitik »keine großen Reformvorhaben« zu verfolgen. »Sie verwalten anstatt zu gestalten«, kritisierte Bartsch.

Der Linken-Abgeordnete nutzte seine Rede im Plenum für eine scharfe Abrechnung mit der europäischen Flüchtlingspolitik. Die Bundesregierung setze sich nicht energisch genug für eine Wende ein. Wegen der Finanzkrise habe es »Gipfel auf Gipfel« gegeben, kritisierte er. Eine Änderung in der Flüchtlingspolitik verfolge die Bundesregierung »nicht mit der gleichen Hartnäckigkeit« wie die Euro-Rettung. Dies sei aber notwendig: »Hier sollte Deutschland Führungsstärke zeigen.«

Update 11.10 Uhr: Schäuble räumt Flüchtlingskrise Vorrang in Haushaltspolitik ein
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Haushaltspolitik ganz an den Erfordernissen der Flüchtlingskrise ausrichten. »Die Bewältigung dieser anspruchsvollen Aufgabe hat absolute Priorität«, sagte Schäuble am Dienstag zum Auftakt der Debatte über den Bundeshaushalt 2016 im Bundestag. Dem hätten sich andere Ausgabenwünsche unterzuordnen, da er am Prinzip eines Haushalts ohne Neuverschuldung festhalten wolle.

In Schäubles Haushaltsentwurf sind bisher Ausgaben in Höhe von 312 Milliarden Euro vorgesehen, das sind 10,4 Milliarden Euro mehr als im laufenden Jahr. Die Aufnahme von Krediten sieht der Entwurf nicht vor. Noch nicht berücksichtigt in Schäubles Entwurf sind die Mehrausgaben für die Flüchtlinge, auf die sich die Koalitionsspitzen in der Nacht zu Montag verständigt hatten. Schäuble kündigte im Plenum an, deshalb möglicherweise einen Nachtragshaushalt vorzulegen.

Update 9.25 Uhr: CDU-Haushälter: Keine neuen Schulden für Flüchtlinge
Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Eckhardt Rehberg, ist überzeugt, dass Deutschland trotz der steigenden Flüchtlingszahlen auch in den kommenden Jahren keine neuen Schulden aufnehmen muss. »Wir können beides schaffen: Die schwarze Null halten und den Zustrom von Flüchtlingen meistern«, sagte Rehberg am Dienstag im WDR. Die schwarze Null, also ein ausgeglichener Haushalt, sei kein Selbstzweck, sondern ein Beitrag zur Generationengerechtigkeit.

Linke will Etatüberschüsse für Flüchtlinge einsetzen

Berlin. Vor Beginn der Haushaltsberatungen im Bundestag hat Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch die Verwendung eines großen Teils der erzielten Etatüberschüsse für eine »menschliche Flüchtlingspolitik« gefordert. Bartsch verwies auf zusätzliche Einnahmen von Bund, Länder und Gemeinden im ersten Halbjahr 2015 in Höhe von über 21 Milliarden Euro. »Es wäre eine notwendige und wirksame Sofortmaßnahme, einen erheblichen Teil dieses Geldes zugunsten der Flüchtlinge einzusetzen. Das schließt ein, Wege zu öffnen, dass auch Mittel des Bundes tatsächlich in den Städten und Gemeinden ankommen«, sagte der Linkenpolitiker. Dass Direktzuwendungen des Bundes für Kommunen nicht vorgesehen seien, dürfe kein Hinderungsgrund bleiben. Kanzlerin Angela Merkel habe dieser Tage neben »deutscher Gründlichkeit« auch Flexibilität einfordert, so Bartsch. Bei der Finanzierung einer menschenwürdigen Unterbringung der Flüchtlinge könne dazu »ein sinnvoller Beweis dafür erbracht werden«.

Die Spitzen der Großen Koalition hatten am Sonntagabend beschlossen, dass der Bund die Mittel für Flüchtlinge im Haushalt 2016 um drei Milliarden Euro erhöht. Bundesländer und Kommunen sollen weitere drei Milliarden Euro erhalten. Merkel hielt für das nächste Jahr Gesamtkosten von zehn Milliarden Euro zur Bewältigung des Flüchtlingszuzugs in Deutschland für möglich. Im Entwurf für den Etat für das Jahr 2016, den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Dienstag im Bundestag vorstellt, sind die zusätzlichen Ausgaben noch nicht enthalten. Derweil geht die Debatte über die Finanzierung der Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen weiter.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat Steuererhöhungen zugunsten der Flüchtlingshilfe ausgeschlossen. »Niemand braucht jetzt bei den Beschlüssen, die wir gestern gefasst haben, die Sorge haben, dass Steuern erhöht werden oder dass wir Leistungen kürzen irgendwo«, sagte der SPD-Vorsitzende am Montagabend in ZDF. Zuvor hatte bereits die Kanzlerin Steuererhöhungen zur Bewältigung der Kosten durch steigende Zahlen von Flüchtenden ausgeschlossen. »Wir werden keine Steuern erhöhen«, sagte sie - Ziel sei weiterhin, einen ausgeglichenen Haushalt ohne neue Schulden aufzustellen.

Dagegen hatte die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann gesagt, »wir müssen eine langfristige Finanzierung für die Flüchtlingsausgaben finden, deshalb ist es sinnvoll, dafür Steuern zu erhöhen«. Menschen mit hohem Einkommen sollten zugleich mehr Steuern zahlen: »Dabei müssen die, die mehr haben, auch mehr schultern«, forderte die SPD-Politikerin. Die Ausgaben für Flüchtlinge würden nicht von einem Jahr auf das andere wieder entfallen. Das für die Flüchtlinge benötigte Geld dürfe nicht an einer anderen Stelle abgezogen werden: »Es wäre Schwachsinn, dieses Geld zum Beispiel beim Kita-Ausbau zu sparen, stattdessen müssen jetzt Investitionen wie in den sozialen Wohnungsbau kommen«, so die Juso-Chefin.

Linksfraktionsvize Bartsch sagte, »dass sich die Länder der Europäischen Union die Anstrengungen und Kosten der Aufnahme von Flüchtlingen redlich teilen, ist eine berechtigte Forderung. Die Bundesregierung könnte sie glaubhafter vertreten, verfolgte sie nicht anderen Staaten gegenüber eine Politik der Erpressung und der Spardiktate, die es etwa Griechenland unmöglich macht, Handlungsfähigkeit und Zukunftschancen zu gewinnen«. Bei den nun anstehenden Haushaltsberatungen werde seine Fraktion »die ungleiche und sozial ungerechte Entwicklung von Einkommen und Vermögen, die endlich gestoppt und in eine Umverteilung von oben nach unten gelenkt werden muss« auf die Tagesordnung bringen. Hauptquellen zur Finanzierung der Forderungen der Linkspartei seien »die Einführung einer Millionärssteuer auf Privatvermögen mit einem Freibetrag von einer Million Euro und einem Steuersatz von fünf Prozent; die Rücknahme der Senkung der Körperschaftssteuer und die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage; die Reform der Erbschaftsteuer; die Einführung einer Finanztransaktionsteuer und Streichungen im Verteidigungsetat«.

Mit Blick auf die Finanzierung der Flüchtlingshilfe sagte Bartsch, jetzt seien »haushaltspolitische Entscheidungen zu treffen, die über den Tag hinaus reichen«. Der Bund müsse »für die Phase des Asylverfahrens und eine Übergangszeit die Kosten der Aufnahme, Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen« übernehmen. Zudem »können und müssen über den Bundeshaushalt Schritte gegangen werden, um Fluchtursachen zu begrenzen«. Dazu soll nach Meinung von Bartsch gehören, »endlich die Selbstverpflichtung einzulösen, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit einzusetzen. Eine Aufstockung des deutschen Beitrages für das Welternährungsprogramm – von jetzt 162 auf künftig 500 Millionen Euro – wäre ein Beitrag in vergleichbarem Sinne.«

Linksfraktionschef Gregor Gysi hat zudem vorgeschlagen, dass der Bund die Milliardeneinnahmen aus dem »Soli«-Steuerzuschlag den Ländern zur Bewältigung der Flüchtlingsunterbringung zuweist. Bislang steht das Geld, aktuell gut 15 Milliarden Euro pro Jahr, allein dem Bund zu. Gysi sagte am Montag MDR Info, man solle den »Soli« nicht abschaffen, sondern den Bundesländern »zur Finanzierung von Flüchtlingsunterkünften zur Verfügung zu stellen«. Der »Soli« von 5,5 Prozent auf die Einkommen- und die Körperschaftsteuer läuft eigentlich 2019 aus. Was mit der einst nach der deutschen Einheit eingeführten Sondersteuer passiert, wird sich in den Verhandlungen zur Zukunft der Bund-Länder-Finanzen entscheiden.

Auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, ebenfalls von der Linkspartei, hatte gefordert, den Solidaritätszuschlag in Zukunft für die Unterstützung von Flüchtlingen zu verwenden. »Es wäre besser, wenn der Soli, der zum Aufbau der neuen Länder derzeit nur noch zur Hälfte genutzt wird, zu einem Integrations-Soli umgebaut werden würde«, sagte Ramelow im Deutschlandfunk. »Dann hätten alle Bundesländer und Kommunen mehr davon und es wäre für die Bevölkerung transparenter und ehrlicher.« Agenturen/nd

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