Ein Mann will sparen

Warum Oliver Straub mit dem Rollstuhl vom Bodensee nach Berlin gefahren ist

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Oliver Straub am Montag sein Ziel erreicht, ist das Empfangskomitee noch nicht bereit: Ein Fotograf ist noch dabei, die 25 oder 30 Personen mit und ohne Handicap, die sich zur Begrüßung vor einem Bundestags-Bürogebäude eingefunden haben, halbkreisförmig anzuordnen. Straub lächelt geduldig, setzt zurück und steuert auf Kommando schwungvoll in die Mitte des Grüppchens.

Es war noch drückend heiß, als der 32-Jährige aus Friedrichshafen am Bodensee am 20. August von Ravensburg aus aufbrach, um mit seinem elektrischen Rollstuhl nach Berlin zu fahren. Als er nun ankommt, weht ein kühler Wind durch die Stadt - und sein Gesicht wirkt entsprechend wettergegerbt.

Auf der einen Seite, sagt der gelernte Maurer, der nach einem Unfall querschnittsgelähmt ist, ging es ihm um die sportliche Herausforderung einer solchen Fernreise. Eine »wunderbare Tour« sei es auch geworden - mit vielen netten Menschen und so manchem Abenteuer: Da war etwa dieser »wunderschöne Weg an der Saale«, der nach einer Brücke plötzlich in eine hohe Treppe mündete. Oder eine als Fahrradweg ausgewiesene Strecke, die sich als wilde Mountainbikepiste entpuppte und ihm einen Platten bescherte. Ungefähr 400 Kilometer, also knapp die Hälfte der Strecke von Südwest nach Nordost, war Straub tatsächlich im Rollstuhl unterwegs, Zwischenetappen wurden mit dem Auto überbrückt.

Andererseits aber hat Straub ein Anliegen, das er in einem Satz ausdrückt: »Ich bin für das Recht auf Sparen für Menschen mit Behinderung unterwegs.« Was darunter zu verstehen ist und was dem ausgerechnet im Land der »Schwarzen Null« und der »Schwäbischen Hausfrau« entgegensteht, hat Straub auf seinem Weg möglichst vielen zu erklären versucht: An allen Stationen stellte er sich mit Infomaterial auf den Marktplatz oder lud Journalisten ein.

Das Thema, um das es dabei ging, trägt den sperrigen Namen »Bundesteilhabegesetz«. Dieses Gesetz soll einen Rahmen für die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland schaffen. Die Konvention, die 2006 beschlossen wurde und seit 2008 gilt, bekräftigt nicht nur die allgemeinen Menschenrechte für Menschen mit Behinderung, sondern enthält auch zahlreiche Details zur »Inklusion« von Menschen mit Behinderung - etwa die Einbeziehung behinderter Kinder in Regelschulen, die in den Ländern mit unterschiedlichem Erfolg umgesetzt wird.

Derzeit befindet sich das Teilhabegesetz im parlamentarischen Verfahren, 2016 soll es im Bundestag verabschiedet werden. Und eine der Kernforderungen, die nicht nur Straub, sondern nahezu alle für Menschen mit Behinderung aktiven Verbände diesbezüglich stellen, ist eben dieses »Recht auf Sparen«.

Bisher ist die Gesetzeslage nämlich so, dass alle, die in ihrem Alltag auf Assistenz angewiesen sind, de facto auf Sozialhilfeniveau leben müssen: Ihr Vermögen und ihr Einkommen werden für die Finanzierung eines Helfers herangezogen. Das bedeutet, dass sie nicht mehr als 2600 Euro ansparen dürfen, ohne dass darauf zugegriffen würde - und sie auch von ihrem Einkommen nur so viel zur Verfügung haben wie Sozialgeldempfänger erhalten. »Geld für ein Auto sparen? Nicht machbar. Urlaub? Wenn überhaupt nur mit finanzieller Unterstützung«, so Straub. Unmöglich sei es ferner, etwa einen Bausparvertrag anzulegen. Ausgeschlossen sei es, Geld für das Alter zurückzulegen, obwohl doch die Bundesbürger allenthalben gerade dazu angehalten werden.

Selbst in das Intimste greift bisher unerbittlich das Gesetz ein: Wer auf Assistenz angewiesen ist, muss in aller Regel auch auf eine Heirat verzichten - denn danach würde auch auf das Geld des Partners zugegriffen und beide wären arm. »Ich will raus aus dem Leben auf Sozialhilfeniveau, ich will reisen und die Welt sehen, ich will finanzielle Sicherheit und vor allem will ich, dass wir, egal mit welcher Behinderung auch immer, gleichberechtigt und integriert in der Gesellschaft leben können«: Was Straub zu seiner Reise motivierte, haben viele auf dem Herzen, die in ähnlicher Lage sind.

Inwieweit ein »Recht auf Sparen« tatsächlich ins Gesetz kommt, ist offen. Bei Straubs Empfang sprechen sich nur die Behindertenpolitiker von Linkspartei und Grünen eindeutig für einen kompletten Wegfall der Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei Assistenzbedürftigen aus. Die SPD-Vertreterin bleibt eher vage - und Uwe Schummer, behindertenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, spricht zwar von einer Anhebung des Freibetrags. Als aber Ilja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland, die Forderung nach Wegfall der Anrechnung wiederholt, murmelt Schummer etwas von »Fundamentalismus«.

Straub erfreut sich sichtlich am Schütteln von Politikerhänden; mit Katja Kipping ist immerhin auch eine Parteichefin dabei. Er lächelt auch, als einer meint, es sei doch ein gutes Omen, dass genau 13 Parlamentarier erschienen seien, um ihn im Empfang zu nehmen. Erschöpfung ist Oliver Straub am Ende seiner langen nicht anzusehen. Eher wirkt er frisch motiviert. Vielleicht also wird man noch mehr von ihm hören.

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