... dann kommst du eben zur Bundesliga
Folge 73 der nd-Serie »Ostkurve«: Eduard Geyer erzählt 25 Jahre nach dem letzten DDR-Länderspiel im Buch »Einwürfe« über Fußball und Leben
Eduard Geyer über den 12. September 1990, als in Moskau der »Zwei-plus-Vier-Vertrag« unterschrieben wurde und die DDR-Nationalmannschaft in Belgien unter seiner Leitung das letzte von insgesamt 293 Fußball-Länderspielen absolvierte:
Ich habe wie ein Blöder rumtelefoniert, dass wir überhaupt sechzehn Spieler zusammenbekommen. Doch einer nach dem anderen gab mir einen Korb. Jeder hatte irgendwelche Ausreden oder Ausflüchte.
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Ich denke, den Spielern kann man gar nicht so viel vorwerfen, weil sie nicht diesen großen Durchblick hatten. Doch die Funktionäre der Westvereine, bei denen sie inzwischen spielten oder unterkommen wollten, verhielten sich erbärmlich. Sie sagten mir eiskalt ins Gesicht, dass sie die Spieler nicht hergeben würden.
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Ich weiß noch sehr genau, wie nach dem Spiel plötzlich diverse Spielerberater um uns herumturnten. Es war
beschämend, wie sich einige von denen aufführten. ... Ich dachte, ich wäre auf einem Sklavenmarkt. Ich fand es erschreckend, wie da gefeilscht und gehandelt wurde.
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Dass wir 2:0 gewannen, war natürlich eine kleine Sensation. Die Belgier waren bei der Weltmeisterschaft 1990 unglücklich im Achtelfinale gegen England nach Verlängerung und Elfmeterschießen ausgeschieden. Dass wir diese starke Truppe mit unserem Himmelfahrtskommando besiegten, gab mir Genugtuung. Einen schöneren Abschied hätte es nicht geben können.
Eduard Geyer über den Mauerfall und die politische Wende:
Für einen Trainer war es eine Scheißzeit. In der Wendephase gab es keine festen Regeln mehr. Da herrschte Anarchie. Jeder Spieler tat das, wovon er glaubte, dass es richtig für ihn sei. Das hatte sich zuvor keiner getraut. Viele Spieler waren von Hirngespinsten getrieben. Die hatten Verträge im Kopf, die sie niemals wert waren, aber glaubten, es zu sein. Viele machten dann später auch bittere Erfahrungen.
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Ich war mir aber auch ziemlich sicher, dass ich aufgrund meiner Erfolge mit Dynamo Dresden und meines Amtes als Nationaltrainer irgendwann mal bei einem Westverein als Trainer arbeiten würde. Tja, so war es dann nicht.
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Aber statt der Trainer hat man in erster Linie Spieler gewollt. Als gut ausgebildete Trainer waren wir natürlich Konkurrenten für die West-Kollegen. Sie fürchteten um ihren Job. Die Vereinsbosse wiederum hatten Angst, dass es mit einem Ostdeutschen nicht funktioniert und sie sich dann Schimpf und Schande anhören müssen. Die unsinnige Voreingenommenheit existiert doch teilweise heute noch.
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Wenn ich nicht zu hohe Ansprüche stelle, bin ich eher ein Gewinner als Verlierer, ja - doch. Ich mache das an meinen Söhnen fest, an meiner Familie. Da es uns allen weitestgehend gut geht, kann man sagen, wir sind Gewinner. Wenn ich es sportlich sehe, hätte ich mir nach der Wende eine andere berufliche Laufbahn gewünscht.
Eduard Geyer über sich als Trainer:
Ich war nicht gnadenlos - ich habe die Mannschaft fit gemacht. Gnadenlos würde bedeuten, wenn ich so trainiert hätte, dass die Spieler am Wochenende nicht hätten laufen können, wenn ich mit der Mannschaft kein Wort gesprochen und Regie geführt hätte wie im Knast.
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Ich kann doch nicht den lieben Papa spielen und immer loben und die liebe Seele streicheln. Ich bin der, der Forderungen stellt, der weiterentwickeln will; ich bin der Lehrer - so steht’s auch in meinem Hochschulabschluss: Diplom-Sportlehrer beziehungsweise -Sportwissenschaftler mit Spezialfach Fußball. Als Trainer musst du unbequem sein. So sehe ich das.
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Wenn ich heute einen Trainingsplan von damals für zehn, vierzehn Tage durchziehen würde, würden alle in die Knie gehen. Auch in meiner Zeit als aktiver Spieler haben wir mehr trainiert als jetzt.
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Wenn das Training härter als der Wettkampf ist, bekommst du auch nur selten physische Probleme.
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»Lächle erst auf dem Heimweg.« Genau das verkörpere ich. Ich kann mich unheimlich freuen, wenn ich was geschafft habe. Der Spruch ist Gold wert. Du musst erst mal was erreichen, sonst bist du ein Traumtänzer.
Eduard Geyer über sich als Spieler:
Meine Spieler-Ära bei Dynamo war grandios. Die meisten waren in etwa gleichaltrig. Hansi Kreische, Gert Heidler, Siegmar Wätzlich, Dieter Riedel. ... Wir spielten in Europa gegen die Spitze und das gar nicht schlecht.
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Aus mir hätte sicher mehr werden können, wenn ich in Jugendjahren einen Trainer mit Weitblick gehabt hätte.
Eduard Geyer über seine Arbeit beim FC Energie Cottbus und seinen legendären Spruch »Wenn die Bundesliga nicht zu dir kommt, dann kommst du eben zur Bundesliga«:
Das war wieder so ein Spruch aus dem Bauch heraus. Ich bin schon sehr schlagfertig. Ich kenne welche, die bereiten ihre Antworten vor - für den Sieg, für die Niederlage usw.
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Ich bin dorthin gegangen, weil ich Geld verdienen musste.
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Wir besiegten den 1. FC Köln daheim 2:0. Irrgang macht in der 43. Minute das erste, Miriuta in der 49. Minute das zweite Tor. Damit stiegen wir in die Bundesliga auf. (26.5.2000)
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Als ich damals in Cottbus anfing, hätte ich das niemals für möglich gehalten. ... Es ging mehr ums Überleben des Vereins.
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Die Wende war für die Menschen im Osten unheimlich schwer. Viele sind arbeitslos geworden, mussten sich vollkommen umorientieren. Betriebe machten zu, Kollegschaften wurden minimiert. ... Doch mit dem Fußball bekamen sie wieder eine Identifikationsmöglichkeit; eine neue Liebe entstand.
Eduard Geyer: Einwürfe. Über Fußball, die Welt und das Leben in Gesprächen mit Gunnar Meinhardt. Verlag neues leben. 272 S., geb., 17,99 €.
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