Schuldentilgung wird ausgesetzt

Wie Thüringen die Flüchtlingskosten ohne Streichungen in anderen Bereichen bewältigen will

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Kann Rot-Rot-Grün in Thüringen den Koalitionsvertrag umsetzen - trotz der rasant gestiegenen Kosten für Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen? Intern gibt es unterschiedliche Ansichten dazu.

Erfurt. Thüringen will in den nächsten beiden Jahren die Tilgung von Landesschulden aussetzen, um trotz hoher Flüchtlingskosten einen ausgeglichenen Haushalt zu ermöglichen. »Wir haben uns dazu angesichts der schwierigen Situation entschlossen«, sagte Finanzministerin Heike Taubert (SPD) der dpa. Die rot-rot-grüne Koalition wolle jedoch an dem Ziel festhalten, beim Doppelhaushalt für die Jahre 2016 und 2017 ohne neue Schulden auszukommen. »Wir werden das nur mit einem einmaligen Kraftakt erreichen.«

Die CDU-Landtagsfaktion warf der Koalition vor, ihre Abkehr von einer soliden Haushalts- und Finanzpolitik mit den Kosten für die Flüchtlingsbetreuung zu begründen. Das Kabinett will den Etatentwurf an diesem Dienstag beschließen und Anfang Oktober in den Landtag einbringen.

Um die hohen Ausgaben für die Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen ohne Neuverschuldung bewältigen zu können, müsse Thüringen auch seine gesamten Rücklagen von 240 Millionen Euro auflösen, bekräftigte Taubert. Das Haushaltsvolumen werde wegen höherer Steuereinnahmen und mehr Geld vom Bund für die Flüchtlingskosten im kommenden Jahr in Richtung 9,8 Milliarden Euro steigen. Für 2017 sind rund 10,06 Milliarden Euro vorgesehen, sagte ein Sprecher des Finanzministeriums am Montag. 2015 hat der vom Landtag beschlossene Haushalt einen Umfang von 9,3 Milliarden Euro.

Nach einem Bericht von MDR Thüringen schließen Teile der Koalition eine Neuverschuldung zumindest 2017 nicht aus. Grünen-Fraktionschef Dirk Adams stellte nach einem Bericht der »Thüringer Allgemeinen« erneut die für 2017 geplante Einführung des gebührenfreien Kita-Jahres infrage. Sie könnte um ein Jahr verschoben werden.

Der Haushaltspolitiker der CDU-Fraktion, Maik Kowalleck, sieht die Ursache für die Probleme »in der ausbleibenden Verwaltungs- und Funktionalreform, in der Aussetzung des Personalabbaus und unnötigen Neueinstellungen im Bereich der politischen Führung«.

Zuletzt hatte Regierungschef Bodo Ramelow (LINKE) fast wöchentlich neue Zahlen für die Ausgaben für Flüchtlingsunterbringung und Betreuung genannt. 2016 könnten es 390 Millionen Euro für Flüchtlinge und weitere 110 Millionen für Kinder und Jugendliche sein, die ohne Angehörige nach Thüringen kommen, lautet seine jüngste Prognose. Doch niemand in der ersten rot-rot-grünen Koalition in Deutschland will, »dass Thüringen der Haushalt um die Ohren fliegt«, sagt ein Kabinettsmitglied. Hinter den Kulissen sei intensiv verhandelt worden, eine Sitzung jagte die andere, heißt es bei den Vertretern von Linkspartei, SPD und Grünen. Dabei habe es intern teils heftige Auseinandersetzungen gegeben, bis klar war: Ja, Rot-Rot-Grün hält trotz Bedenken vor allem der Grünen und trotz der finanziellen Unwägbarkeiten an einem Doppelhaushalt für zwei Jahre fest.

»Wir haben alle Register gezogen«, bekennt Finanzministerin Heike Taubert (SPD). Die Koalition habe einige Vereinbarungen getroffen, »die in normalen Zeiten so nicht möglich wären«, räumt sie ein.

Zu Gute kommt Thüringen die stabile Konjunktur, die steigende Steuereinnahmen verspricht. Ministerin Taubert erwartet 2016 etwa 80 Millionen Euro und 2017 etwa 100 Millionen Euro mehr. »Wir preisen höhere Steuereinnahmen ein.« Bei den Grünen wird zudem auf das niedrige Zinsniveau und die Hoffnung verwiesen, Thüringen könnte 2015 wegen des erst im Juni beschlossenen Etats 15 bis 50 Millionen Euro übrig behalten. »Es gibt vielleicht einen Puffer«, glaubt eine Koalitionärin.

Letztlich geht es Rot-Rot-Grün darum, dass Thüringen die Flüchtlingskosten bewältigt, ohne die Axt an andere Ausgaben legen zu müssen. »Das Alltagsleben kann nicht außer Kraft gesetzt werden«, meint nicht nur Ramelow. »Wir haben uns sehr bemüht, eine Balance herzustellen«, findet Taubert. Sie nennt als Beispiel die bereits beschlossenen höheren Ausgaben für freie Schulen, für mehr Lehrer, für ein Schulinvestitionsprogramm oder für die Vorbereitung des Reformationsjahr 2017. Aber natürlich würden die Ministerien innerhalb ihres Spielraums Prioritäten auch anders setzen als 2015.

Festhalten will die Koalition an den 1,9 Milliarden, die die Kommunen über den Finanzausgleich mit dem Land pro Jahr erhalten. Das Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen sei darin nicht enthalten. Es komme extra, versichert Innenminister Holger Poppenhäger (SPD). Ob das die Kommunen zufriedenstellt, ist offen. dpa/nd

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