Eine majestätische Metalband

Die Melvins spielen am Donnerstag im Berghain

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Möglicherweise ist Buzz Osborne, der Sänger und Gitarrist der Melvins, der unterschätzteste Strippenzieher der jüngeren Geschichte der Rockmusik. Er war es, der Kurt Cobain, Frontmann von Nirvana, zum Punk brachte. Das war Anfang der 1980er in einem »deprimierenden Scheißloch« (O-Ton Osborne) namens Aberdeen im Nordosten der USA. Buzz, dessen Band damals noch im Elternhaus ihres Schlagzeugers Dale Crover probte, nahm für Cobain eine Kassette mit Punk und Hardcore-Bands wie Black Flag, MDC oder Flipper auf.

Fast wäre der junge Cobain sogar ein Mitglied der Melvins geworden. Doch beim Vorspielen war er so nervös, dass er alle Songs vergaß. Gut so, denn dann hätte es Nirvana möglicherweise nie gegeben. Die Geschichte der Melvins und von Nirvana sollte sich noch das ein oder andere Mal kreuzen. So spielte Crover auf Nirvanas erstem Album Schlagzeug und Cobain produzierte ein Album der Melvins mit. Auf einem Stück ist er auch als Gitarrist zu hören.

Die Melvins, die zunächst mit Hardrock-Cover-Stücken anfingen, spielten dann superschnelle Hardcore-Punk-Stücke, um später mit dem Gegenteil - sehr langsamen Stücken - ihren eigenen Stil zu finden. Bevor sie 1988 nach San Francisco umsiedelten, legten sie noch mit ihren ersten Veröffentlichungen einen Grundstein für den Grunge-Sound, der Bands wie Nirvana, Pearl Jam oder Soundgarden aus dem Underground auf die großen Bühnen der Welt katapultieren sollte. Die unberechenbare Band gilt zudem als Wegbereiter des dröhnend experimentellen Dooms von Bands wie Sunn O))) oder Boris.

Als große Plattenfirmen Anfang der 1990er Jahre alles unter Vertrag nahmen, was aus Seattle kam oder eine Gitarre halten konnte und bei drei nicht auf dem Baum war, unterschrieben auf Vermittlung von Cobain auch die Melvins bei einem Majorlabel. Immerhin schafften sie es, drei Alben auf Atlantik zu veröffentlichen. Dann trennte man sich im Einvernehmen. Atlantik hatte eingesehen, dass die Rock-Dekonstruktion und Experimentierfreudigkeit der Band mit guten Verkaufszahlen nicht zu vereinbaren war. Buzz Osborne allerdings unterstrich, dass man seitens des Labels nie unter Druck gesetzt worden sei, eingängigere Musik aufzunehmen.

Seit Ende der 1990er Jahre veröffentlicht die Band auf dem Ipecac-Label vom Faith No More-Frontmann Mike Patton. Und da passt man sowieso viel besser hin. Für ihre letzte Platte »Hold it in« holten sich die Melvins übrigens Verstärkung von einer ebenso sehr einflussreichen Gitarrenkrachband: Paul Leary und JD Pinkus von den Butthole Surfers spielen Bass und Gitarre und steuerten drei Songs bei. Mit ihnen sind die Melvins derzeit auf Europatour - und am Donnerstag wird Station im Berghain gemacht. Man wird dann prüfen können, ob, wie Diedrich Diederichsen einmal schrieb, die Melvins nur noch eine majestätische Metal-Band sind, die »ebenso breite wie geometrisch abgezirkelte Furchen durch riesige Schlammgebiete aus Metalmagma« zieht - oder ob aus ihrer »klugen Dialektik« immer noch »bombige Ideen« entstehen.

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