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Flüchtlinge: Europa gibt nur eine Milliarde Euro

Gipfel in Brüssel beschließt Finanzhilfe für Versorgungsprogramme gegen Hunger in Flüchtlingslagern / Mehr Ressourcen für Abwehr von Asylsuchenden / Tusk: »Müssen Politik offener Türen korrigieren«

  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin. Eine Milliarde Euro für die Versorgung von Flüchtlingen - und das war es dann fast schon. Bei ihrem Sondergipfel haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs zwar darauf verständigt, internationalen Hilfsorganisationen etwas mehr Mittel zur Verfügung zu stellen, das Geld solle an das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, das Welternährungsprogramm (WFP) und andere Organisationen gehen, heißt es in der Erklärung zu dem Treffen in Brüssel, das in der Nacht zum Donnerstag zuende ging.

Mit dem Geld soll verhindert werden, dass noch mehr Menschen aus Flüchtlingslagern in der Region um Syrien Richtung Europa fliehen. Allerdings sind die Nöte allein des Welternährungsprogramms viel größer. Es fehlen allein für die Versorgung der Syrien-Flüchtlinge noch mehrere Milliarden Euro.

Die Hälfte der Gelder soll aus dem EU-Budget kommen, die andere von den Mitgliedstaaten. Merkel räumte in diesem Bereich zum Gipfel-Auftakt eigene Versäumnisse ein: Auch sie habe »nicht gesehen, dass die internationalen Programme nicht ausreichend finanziert sind, dass Menschen hungern in den Flüchtlingslagern«.

Darüber hinaus konnte sich Europa aber nicht zu einem »großen Wurf« in der Frage durchringen, wie eine menschenwürdige Behandlung der Flüchtlinge und gerechtere Lastenverteilung zwischen den Staaten zu erreichen ist. Die Staats- und Regierungschefs der EU werden schon in drei Wochen bei ihrem regulären Gipfel wieder über die Flüchtlingskrise beraten.

Die Staats- und Regierungschefs vereinbarten lediglich einen Dialog mit der Türkei »auf allen Ebenen« sowie die Unterstützung von Staaten auf dem westlichen Balkan, damit diese »die Flüchtlingsströme managen können«. Ansonsten geht es weiter darum, die Zufluchtsuchenden abzuhalten: Die Kontrolle ihrer eigenen Außengrenzen will die EU verstärken. »Spätestens bis Ende November 2015« sollen sogenannte Hotspots zur Registrierung von Flüchtlingen in Griechenland und Italien aufgebaut werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, auch Bulgarien mit seiner Grenze zur Türkei habe Interesse an den Hotspots bekundet. »Wir waren offen dafür.«

Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll auch die Flüchtlingshilfe für die Türkei für das laufende und das kommende Jahr auf insgesamt eine Milliarde Euro aufgestockt werden. Von neuer Finanzhilfe soll auch Afrika mit 1,8 Milliarden Euro profitieren. Außerdem will die EU ihre Grenzschutzagentur Frontex stärken - auch dafür gibt es zusätzliches Geld und Ressourcen.

»Wir müssen unsere Politik offener Türen und Fenster korrigieren«, sagte Gipfelchef Donald Tusk. »Das Chaos an unseren Außengrenzen muss ein Ende nehmen.« »Zum ersten Mal ist die Migrationsfrage nicht das Problem eines einzelnen Mitgliedstaates«, bilanzierte der italienische Regierungschef Matteo Renzi. »Es ist eine Frage für alle Europäer und insbesondere alle EU-Institutionen.«

Der umstrittene ungarische Ministerpräsident Viktor Orban drohte die Schließung der Grenze seines Landes zum EU-Mitglied Kroatien an. Der Rechtsaußen beklagte, es sei nicht gelungen, eine gemeinsame Sicherung der griechischen EU-Außengrenze zu beschließen. So könnten Flüchtlinge internationale Regeln brechen und weiter nach Griechenland vordringen. Zu den umstrittenen ungarischen Grenzzäunen sagte Orban: »Wenn der Zaun nicht gewollt wird, dann können wir die Flüchtlinge auch durchlassen Richtung Österreich und Deutschland.«

Zur Beilegung der politischen Krise im Umgang mit den Flüchtlingen gebe es »keine einfachen Lösungen«, hieß es in der Gipfelerklärung. Alle EU-Länder seien sich einig, dass »wir diese Herausforderung nur meistern können, wenn wir gemeinsam arbeiten, im Geiste von Solidarität und Verantwortung.« Der wochenlange erbitterte Streit über den Kurs in der Flüchtlingspolitik sei zwar nicht verschwunden, hätte aber bei dem Spitzentreffen nicht wirklich eine Rolle gespielt, resümierte der französische Staatspräsident François Hollande am frühen Donnerstagmorgen nach rund siebenstündigen Beratungen in Brüssel.

Die EU-Staaten hatten sich erst unmittelbar vor dem Gipfel nach langen Auseinandersetzungen auf die Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen geeinigt. Dabei wurden Rumänien, Tschechien, die Slowakei und Ungarn überstimmt.Von den sogenannten Visegrad-Staaten hieß es in einer Erklärung, sie wollten die EU-Debatte »wieder auf Kernprioritäten und echte Lösungen fokussieren«. Dazu gehöre neben der Bekämpfung der Fluchtursachen eine »wirksame Kontrolle und Schutz der EU-Außengrenzen«. Agenturen/nd

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