Schwacher Rubel - starke Nerven

Die Moskauer lassen sich von Wirtschaftskrise, Staus und Bunker-Plänen nicht aus der Fassung bringen

  • Ulrich Heyden, Moskau
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf der Datscha wollen Moskauer den Krisen trotzen und lieber den eisernen Tschekisten Felix Dsershinski zurück, als eine Brücke nach Boris Nemzow zu nennen.

Unter meinen Bekannten haben viele ihre Jobs verloren oder sie mussten Gehaltskürzungen hinnehmen. Einige Freunde versuchen sich als Freischaffende, als Masseure, IT-Berater oder mit anderen Service-Jobs durchzuschlagen. Es wundert nicht, dass die Neuwagen-Verkäufe um ein Drittel zurückgegangen sind und es Massenentlassungen gibt. Das Ladawerk in Toljatti an der Wolga entließ 4000 seiner insgesamt 66 000 Beschäftigten. General Motors in St. Petersburg entlässt alle Beschäftigten und konserviert sein Werk für bessere Zeiten. Das nicht weit von St. Petersburg gelegene Fordwerk beschäftigt nicht mehr wie vor zwei Jahren 2300 sondern nur noch 1500 Arbeiter und produziert statt in drei Schichten jetzt im Einschichtbetrieb.

Der Run auf die Kaufhäuser mit Computern, Fernsehern und Autos bleibt aus. Der Rubel ist zu schwach und eine »schwankende Währung« geworden. In die Kaufhäuser - wie noch bei dem Rubelsturz im Dezember - rennen die Moskauer nicht mehr, um ihre Rubel gegen wertbeständige Technik aus dem Westen einzutauschen. »Die Moskauer haben gelernt«, schrieb das Massenblatt Moskowski Komsomolez, dass Importware »keine gute Geldanlage ist«. Denn nach dem Run im Dezember war die Importtechnik um zehn Prozent billiger geworden.

Aus der Ruhe bringen lassen sich die Moskauer auf keinen Fall. Die Russen sind Extreme gewohnt. Das Wirtschaftswachstum sinkt in diesem Jahr um durchschnittlich vier Prozent. Doch die Wirtschaftskrise ist auf den ersten Blick nicht zu sehen. Außer französischem Käse scheint in den Moskauer Supermärkten das meiste weiterhin vorhanden zu sein. Allerdings sind die Preise um 15 Prozent gestiegen. Der Unmut darüber ist groß und manch einer hilft sich selbst. Die Medien berichten, dass die Diebstähle in den Supermärkten im Jahre 2014 wegen der gestiegenen Preise gegenüber dem Vorjahr um 68 Prozent angestiegen seien.

Panik gibt es aber nur unter den westlich orientierten Liberalen. Sie machen allein Präsident Wladimir Putin für den Krieg in der Ukraine verantwortlich. Viele denken übers Auswandern nach. Die Moskauer haben schon manches erlebt und durchgestanden, sie versuchen sich abzulenken, Möglichkeiten gibt es genug. Im Gorkipark ist der Bär los. Wo früher Schießbuden und altmodische Karussells standen, treibt man jetzt Sport. Die Moskauer Jugend hat den Park neu entdeckt.

Am Ufer der Moskwa herrscht auf dem weitläufigen Gelände mit seinen vielen Wegen großes Getümmel. Schöne Frauen schlendern mit ihren Freunden im Schatten der Bäume. Ab und zu kommen Skater herangerauscht, umkurven geschickt die Spaziergänger, ohne das Tempo zu vermindern. »Verdammt noch mal, können die nicht ein bisschen langsamer fahren?«, entfährt mir. »Die Russen lieben nun mal die Geschwindigkeit«, meint ein Freund.

Sowjetisches Flair gibt es im Gorkipark nicht mehr, sieht man einmal von dem riesigen Eingangstor mit seinen mächtigen Säulen ab. Dafür sind jetzt ausländische Firmen im Park vertreten: eine japanische Autofirma mit einem Testareal für die neue Produkte und eine amerikanische Sportbekleidungsfirma, die kostenloses Fitnesstraining anbietet. Die Nachfrage ist groß.

Der neue Bürgermeister Sergej Sobjanin - manche sagen ihm Ambitionen auf das Präsidentenamt nach - hat der Stadt in den letzten beiden Jahren eine kräftige Modernisierungskur verpasst. Mit moderner Verkehrsplanung hat sich die Hauptstadt verspätet. Jetzt werden in der Innenstadt Wild-Parker gnadenlos abgeschleppt. Geparkt werden darf nur gegen Gebühr an bestimmten Stellen und zu bestimmten Zeiten. Wegen dieser Maßnahmen und zahlreicher neuer Brücken und kilometerlanger Tunnel sind die schon legendären Verkehrsstaus jetzt etwas zurückgegangen.

Am Überraschendsten für den Kenner russischer Fahrweisen ist vielleicht das Vorrücken der Radfahrer. Das immer noch kleine Radwegenetz wird ausgebaut. Überall in der Stadt lassen sich an den Metrostationen Fahrräder ausleihen. Die meisten Fahrradfahrer findet man entlang der Parks und Grünstreifen.

Zum Bild Moskaus gehörte bis 1991 auch das Denkmal des ersten sowjetischen Geheimdienstchefs Felix Dsershinski. Das wollten die Genossen der Kommunistischen Partei wieder zurück haben und sammelten mit 152 000 Unterschriften genug für ein Referendum. Darin sollte es in den Fragen zwei und drei auch um Themen wie die Schließung von Krankenhäusern und die Zusammenlegung von Schulen mit Kindergärten gehen. Das verweigerte das Moskauer Stadtgericht. So legte die KP ihre Unterschriftenlisten erst einmal in die Ablage und wartet, bis sie alle drei Fragen durchbringt.

Das geringste Problem wäre wohl die Wiederaufrichtung des Denkmals. Wie die Meinungsforscher des nstitutes Lewada ermittelten, wären 51 Prozent der Moskauer dafür. Dserschinski gehöre zur russischen Geschichte und habe auch Gutes getan, meinen die Befürworter. Zwar habe der oberste Tschekist während des Bürgerkrieges den »roten Terror« eingeleitet, bei dem auch Unschuldige starben,räumen Historiker in Gesprächsrunden im Fernsehen ein. Dsershinski habe sich aber auch um die Einrichtung von Häusern für Straßenkinder und den bäuerlichen Kleinhandels eingesetzt.

Aufschlussreich ist das Ergebnis einer Umfrage zur Umbenennung der Brücke, auf der im März der liberale Politiker Boris Nemzow von einem immer noch Unbekannten erschossen wurde. 77 Prozent der Moskauer sind gegen die von Liberalen geforderte Umbenennung in »Boris-Nemzow-Brücke«, nur zehn Prozent dafür. Für die meisten war Boris Nemzow eben einer der Wirtschaftsreformer, deren Schocktherapie in den 1990er Jahren zu Fabrikschließungen, monatelangen Lohnrückständen und dem Zusammenbruch von Forschung und Wissenschaft führte.

Über Angst vor einem Krieg reden die Leute nicht. Und doch ist diese Angst da. Die »Komsomolskaja Prawda« erschreckte nicht nur ihre Leser mit einer Nachricht, die ursprünglich der Beruhigung dienen sollte. Wegen der »lokalen Konflikte in der Ukraine und anderen postsowjetischen Republiken«, so das Blatt, sehe sich das Notstandsministerium veranlasst, das Gesetz zum Zivilschutz nachzubessern. Danach werde man den Bau von Schutzräumen in Wohngebieten in die Planung aufnehmen.

Im Unterschied zu den sowjetischen Bunkern sollen die neuen Schutzräume nicht zuerst vor Atomangriffen, sondern vor Schlägen mit Präzisionswaffen, vor Splittern und einstürzenden Gebäuden schützen. Viele Bunker aus der Sowjetzeit seien zurzeit noch als Lager und Garagen zweckentfremdet. Das russische Ministerium für Industrie und Handel plant die Einführung von Lebensmittelkarten für sozial Bedürftige. Meine Bekannten setzen eher auf die Datscha. In einer Krise, und die komme ganz bestimmt, werde man dort Gemüse und Obst anbauen.

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