Länder fühlen sich überfordert

Ministerpräsidenten drängen auf schnelle Begrenzung der Flüchtlingszahlen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Die bayerische Landesregierung droht der Bundesregierung mit Konsequenzen. Die Mehrheit der Länder ist zwar vorsichtiger im Ton, will aber ebenfalls weniger Flüchtlinge aufnehmen.

»Die Belastungsgrenze ist erreicht«, stellte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitag fest. Im Anschluss an eine Sondersitzung des bayerischen Kabinetts drohte der Innenpolitiker mit Konsequenzen. »Falls der Bund hier nicht tätig werden sollte, behält der Freistaat Bayern sich vor, anlassbezogen eigene Maßnahmen zu ergreifen«, so Herrmann. Der Christsoziale kündigte zudem an, dass Bayern »die Grenzkontrollen auf Dauer beibehalten« werde. Seit Mitte September ist die Bundespolizei an der österreichischen Grenze wieder aktiv und überprüft alle Einreisenden.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) schloss sich den Drohungen seines Innenpolitikers an. Sollte der Bund nicht bald wirksame Maßnahmen zur Begrenzung des Zuzugs ergreifen, behalte sich Bayern den Klageweg nach Karlsruhe vor, erklärte Seehofer. Zwar vermied er weitere Ankündigungen, betonte jedoch auf Nachfrage eines Journalisten: »Gehen Sie davon aus, dass wir wissen, was wir tun müssen.« Bereits am Mittwoch hatte der Ministerpräsident während einer Sitzung mit bayerischen Landräten von »wirksamer Notwehr« in Bezug auf die Flüchtlinge gesprochen. In Bayern liegen die Nerven blank: Zwischen 1. September und 3. Oktober sind rund 225 000 Asylsuchende im Freistaat angekommen. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl warnte die bayerische Staatsregierung vor einem offenen Rechtsbruch. Ein kurzer Prozess an den Grenzen entbehre jeder rechtsstaatlichen Grundlage. Seehofer werfe »verbale Brandsätze«, kritisierte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt am Freitag. »Dies unterstützt die rechtsradikale Hetze und ist im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich.«

Die Mehrheit der Ministerpräsidenten der Länder teilt das bayerische Anliegen im Grundsatz. Auf der gemeinsamen Konferenz in Bremen sprach man sich dafür aus, den »Zustrom von Flüchtlingen« abzubremsen. Landräte und Oberbürgermeister signalisierten Grenzen der Aufnahmefähigkeit, sagte der Regierungschef von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), zum Ende der zweitägigen Ministerpräsidentenkonferenz. Das bedeute auch, dass abgelehnte Asylbewerber schneller abgeschoben werden müssten, um Platz für diejenigen zu schaffen, die noch in Zelten untergebracht sind, so Haseloff. Das heißt: In der Sache ist man sich mit den Bayern einig, nur der Ton ist ein anderer. Noch. Die Flüchtlingskrise könne nur in Zusammenarbeit mit dem Bund und in Solidarität innerhalb der Europäischen Union gelöst werden, betonte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD). Länder und Kommunen stünden vor enormen Herausforderungen, was die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge angehe. Haseloff ergänzte: »Wenn Kommunen, Länder und Bevölkerung nicht überfordert werden, können wir das schaffen.« Deutschlands sei aber nicht unbegrenzt aufnahmefähig.

Auf bundespolitischer Ebene werden die Kassandrarufe ebenfalls lauter. SPD-Chef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnen in einem Beitrag für den »Spiegel« vor einer Überforderung. »Wir können nicht dauerhaft in jedem Jahr mehr als eine Million Flüchtlinge aufnehmen und integrieren«, heißt es dort. »Unsere Politik wird nur dann auf Dauer mitgetragen, wenn wir die Hilfsbereitschaft der Menschen in unserem Land nicht überfordern.« Damit der Druck auf Deutschland abnehme, müsse es »europäische Lösungen« geben.

Solche Warnungen zeigen Wirkung: Laut »ZDF-Politbarometer« ist mittlerweile eine knappe Mehrheit der Deutschen (51 Prozent) der Ansicht, dass das Land die hohe Zahl von Flüchtlingen nicht mehr verkraften könne. Nur noch 45 Prozent seien vom Gegenteil überzeugt, teilte der Sender am Freitag in Mainz mit. Vor zwei Wochen lag der Anteil der Zuversichtlichen noch bei 57 Prozent.

So genannte besorgte Bürger schreiten immer häufiger selbst zur Tat. Wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) am Freitag erklärte, ist die Zahl von Übergriffen auf Asylbewerber deutlich gestiegen.

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