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Von Juwelen und Knobelbechern

John Nettles weiß Kurioses über Hitlers Inselwahn mitzuteilen

  • Peter L. Zweig
  • Lesedauer: 3 Min.

Im März 1985 startete das DDR-Fernsehen die Ausstrahlung der englischen Krimiserie »Jim Bergerac ermittelt«. Der bei Drehbeginn 37-jährige und noch schlanke Darsteller des Sergeant, John Nettles, wurde schnell zum Liebling der Zuschauerinnen und Zuschauer.


John Nettles: Hitlers Inselwahn.
Aus d. Engl. von Kalterina Latifi und Jakob Brüssermann.
Osburg. 480 S., geb., 24 €.


Bekannt war, dass er bis 1980 Mitglied der berühmten Royal Shakespeare Company gewesen ist, doch kaum jemand wusste, dass Nettles zuvor in Southampton Geschichte und Philosophie studiert hatte. Nun spielte er also einen Sergeanten bei der Ausländerpolizei der schönen Kanalinsel Jersey.

Da die Serie an Originalschauplätzen gedreht wurde und in England bis 1991 lief, hatte der gelernte Historiker viel Zeit, sich vor allem mit der jüngeren Geschichte der Insel zu beschäftigen und Zeitzeugen zu befragen. Mehr als zwei Jahrzehnte später, John Nettles ist inzwischen vor allem als Inspektor Barnaby bekannt, erschien nun das Ergebnis seiner Forschungen - in der Originalausgabe unter dem Titel »Jewels and Jackboots«. Da dieser schwer ins Deutsche zu übertragen ist - Jewels (Juwelen) werden die der britischen Krone gehörenden Inseln im Ärmelkanal genannt, Jackboots meint Knobelbecher, also Wehrmachtsstiefel - trägt die hiesige Ausgabe den Titel »Hitlers Inselwahn«.

Es geht um die Jahre 1940 bis 1945, als die Kanalinseln, britisches Territorium, von der deutschen Wehrmacht besetzt waren. Ein kleiner, wenig relevanter und interessanter Nebenschauplatz eines großen Krieges? Jawohl, aber auch dort ging es um Leben oder Tod, um Widerstand oder Kollaboration, um Menschlichkeit oder Barbarei. In den wenigen Darstellungen zur Thematik wurde bisher der Anschein erweckt, die Okkupation wäre weitgehend friedlich verlaufen. Nettles widerlegt diese These.

Die Bombardements am 28. Juni 1940 forderten über vierzig Todesopfer. Es gab Zwangsarbeiter auf den Inseln, auch hier wurden die (wenigen) Juden deportiert, zum Teil mit Hilfe britischer Behörden - sie gelangten aber nicht mehr in die Vernichtungslager, sondern blieben in Frankreich und konnten bis auf eine Ausnahme zurückkehren.

Es gab Versuche von britischen Fallschirmjägern, den Widerstand zu organisieren, doch sie brachten ihre Kontaktpersonen wohl eher in Gefahr als dass sie etwas ausrichten konnten. Unter den deutschen Befehlshabern waren Offiziere, die auf Deeskalation setzten, und andererseits Scharfmacher, die Hitlers wahnsinnige Befehle fanatisch befolgten. Doch Konflikte gab es nicht nur zwischen Inselbewohnern und Besatzern.

Die britischen Staatsbürger grollten ihrer Regierung in London, weil sie sich im Stich gelassen fühlten. Es gab keinen ernsthaften Versuch, die Kanalinseln zurückzuerobern, und als die Westalliierten zur Invasion in der Normandie ansetzten, machten sie einen Bogen um die britischen »Kronjuwelen« im Ärmelkanal. So endete die Okkupation von Jersey, Guernsey usw. erst, als die Kapitulation Hitlerdeutschlands unterzeichnet war.

Von all dem erzählt Nettles detailliert und anekdotisch unter Einbeziehung von Augenzeugenberichten sowie von Dokumenten beider Krieg führender Seiten. Er erweist sich dabei als Historiker bester englischer Schule; er lässt Fakten sprechen und hält sich mit Kommentaren, Wertungen und Spekulationen weitgehend zurück. So bekommt der historisch interessierte Leser ein spannendes, ebenso lesbares wie lesenswertes Buch in die Hand, das - zumindest in Deutschland - eine der letzten Wissenslücken über den Zweiten Weltkrieg schließt.

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