EU buhlt um Erdogan

Merkel reist am Sonntag zu Gesprächen in die Türkei / Grünen-Chef Özdemir fordert Abbruch der Gespräche mit der Türkei über Flüchtlinge / LINKE fordert internationale Untersuchung nach Anschlägen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Türkei ist in den Zenit der EU-Begehrlichkeiten gerückt. Das Blutbad in Ankara am Samstag soll daran nichts ändern. Eine gute Verhandlungsbasis für Präsident Erdogan.

»Wir brauchen die Türkei.« In diesen Worten von Kommissar Günther Oettinger zeigt sich das Dilemma, in das sich die EU manövriert. Die Türkei wird in der Union soeben für unentbehrlich erklärt. Von Präsident Recep Tayyip Erdogan erhofft man, dass er einen Teil des Flüchtlingsproblems für die EU löst, dafür ist die bereit, über problematische Seiten des Verhältnisses hinwegzusehen. Erdogan soll eine Aufgabe im Mechanismus der Flüchtlingsabwehr übernehmen. Die EU-Länder suchen nach anfänglicher Ohnmacht nach Wegen, wie sie die Flüchtlingszahlen begrenzen und reduzieren können. Ankara spielt hier eine wichtige Rolle. Finanzmittel und womöglich weitere Zugeständnisse sollen Erdogan motivieren, die Bedingungen für die Flüchtlinge zu verbessern. Schon rund zwei Millionen Menschen aus den kriegsverwüsteten Ländern der Umgebung haben sich in die Türkei gerettet, doch nun beginnen auch sie sich dem Strom der Flüchtlinge gen Norden anzuschließen. Das soll unterbunden werden. Doch zu schlecht sind die Bedingungen, unter denen Ankara ihnen den Aufenthalt im Land gestattet.

Wegen seines Vorgehens gegen die PKK und die Kurden in Nordsyrien, wegen seiner schwer kalkulierbaren Haltung gegenüber dem Islamischen Staat und der Gegnerschaft zum syrischen Präsidenten Assad, der nach bisheriger Ablehnung für die EU gerade wieder zum Gesprächspartner avanciert, ist das Verhältnis zu Erdogan schwierig. Nach dem Anschlag vom Sonnabend in Ankara auf eine Friedensdemonstration, der fast 100 Menschen zum Opfer fielen - weitere 500 wurden verletzt - gerät Erdogan unter neuen Druck. Obwohl am Montag weiter unklar war, wer hinter dem Anschlag steckt, gab die prokurdische Oppositionspartei HDP der Regierung eine Mitschuld. Ein Regierungssprecher nannte seinerseits erneut die PKK als möglichen Urheber. Die LINKEN-Abgeordnete Sevim Dagdelen erklärte, Erdogan trage »eine hohe Verantwortung für ein Klima des Terrors gegen Andersdenkende«.

Parallel wurden Forderungen lauter, den Dialog mit Erdogan auf Eis zu legen. Grünen-Chef Cem Özdemir: Dafür, dass Erdogan Europa die Flüchtlinge vom Leib halte, erwarte dieser, dass die EU-Partner »die Augen zudrücken, wenn er sein Volk unterdrückt«. So ein Handel sei nicht akzeptabel: »Wer wie Erdogan die Kurden sogar im Nordirak und in Syrien bekämpft, der stärkt den IS und verstärkt die Fluchtursachen.«

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird am Sonntag in Ankara mit Erdogan und Ministerpräsident Ahmet Davutoglu sprechen. Erdogan sei »sicher nicht der Wunschgesprächspartner, den man sich erdenken kann. Aber ohne ihn wird eine Lösung nicht möglich sein«, beschwichtigte CDU-Vize Armin Laschet. Nach dem Anschlag in Ankara warnte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, bereits vor Konflikten zwischen Kurden und türkischen Nationalisten in Deutschland. »Wehret den Anfängen.« Seite 7

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