Zwölf kleine Turmstraßen
Registrierungsstelle in der Bundesallee eröffnet / Grüne Stadträte fordern mehr Personal
Bis zum Mittag wurden in der Bundesallee bereits rund 100 Menschen registriert, sagte die Sprecherin der Senatssozialverwaltung, Regina Kneiding, dem epd. Am Donnerstagmorgen eröffnete in dem ehemaligen Gebäude der Landesbank eine neue Registrierungsstelle für Asylsuchende. Bis zu 100 Mitarbeiter verschiedenster Institutionen sollen es gemäß dem am Mittwoch von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) präsentierten »Berliner Modell« möglich machen, dass Flüchtlinge in einem Gebäude bei allen notwendigen Behörden vorstellig werden können. Die Arbeit in dem neuen Gebäude sei »sehr gut und geordnet angelaufen«. Zugleich habe sich die in den vergangenen Wochen massiv kritisierte Lage beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in der Moabiter Turmstraße erkennbar entspannt, so Kneiding.
Nach wie vor sollen Flüchtlinge zunächst zum LAGeSo in der Turmstraße in Moabit kommen. Dort werden sie vorregistriert, bevor sie in die Bundesallee gefahren werden. »Altfälle« werden weiter auf dem Gelände des LAGeSo bearbeitet. Mitarbeiter der Berliner Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), des LAGeSo und der Bundesagentur für Arbeit werden im Gebäude arbeiten.
Grüne Bezirksstadträte warnen unterdessen davor, dass sich das Verwaltungschaos und die unhaltbaren Zustände vor dem LAGeSo auf bezirklicher Ebene noch einmal wiederholen, sobald die Flüchtlinge, die in Berlin anerkannt werden und damit deren Unterbringung und Versorgung in die Zuständigkeit der Bezirke übergehen. »Es muss befürchtete werden, dass die Ämter der Bezirke sich zu 12 kleinen Turmstraßen entwickeln«, sagt Neuköllns Sozialstadtrat Bernd Szczepanski. Die Berliner Grünen wollen mit einem am Donnerstag vorgestellten Forderungskatalog, der 17 Punkte aufgreift, die Integration von Flüchtlingen verbessern.
Nach wie vor sei die Steuerung beim Umgang mit neu ankommenden Flüchtlingen ein Chaos, sagt die Berliner Grünen-Vorsitzende Bettina Jarasch. Das habe sich auch mit dem Einsatz von zwei neuen Staatssekretären nicht geändert. Unter anderem fordert die Partei eine Aufstockung des Personals in den Sozialämtern, die sich mit der Bearbeitung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und der Wohnungslosenhilfe beschäftigen. »Es kann nicht sein, dass erst 33 Schritte erfolgen müssen, bis wir eine unbesetzte Stelle vergeben können«, sagt Sibyll Klotz, Sozialstadträtin aus Tempelhof-Schöneberg. Die Grünen fordern, dass die Bezirke eine Einstellungsermächtigung fürs Sozial- und Jugendamt erhalten. Die leistungsrechtliche Zuständigkeit für Menschen, die eine Duldung erhalten haben, liegt bei den Sozialämtern. Die Flüchtlinge werden dann nach ihrem Geburtsdatum und dem Nachnamen entsprechenden Bezirk zugewiesen.
Auch bei der Unterbringung machen strukturelle Probleme den Bezirken zu schaffen. Mittes Sozialstadtrat Stephan von Dassel sagt, er habe bereits vor vier Jahren eine Immobilie in der Seestraße als Unterkunft mit über 200 Betten für Flüchtlinge angeboten. »Bis heute habe ich keine Antwort vom LAGeSo bekommen«, sagt Dassel. Jetzt will der Bezirk selbst Betten in dem Gebäude anmieten, um sie an Flüchtlinge zu vergeben. Viele Hostelbetreiber seien wiederum nicht bereit, ihre Kapazitäten den Bezirken zu überlassen, die vielleicht 20 bis 25 Euro pro Tag und Platz finanzieren könnten, während das LAGeSo für die Erstunterbringung aber 50 Euro zahle - wenn es denn zahlt.
Die Grünenabgeordnete Canan Bayram nannte den Umgang mit Flüchtlingen in einem Interview mit der »taz« (Donnerstagsausgabe) einen »inszenierten Notstand«. Bayram wirft Sozialsenator Czaja vor, die katastrophalen Zustände in der Turmstraße bewusst herbeizuführen, um »Bilder zu produzieren, die die hilfsbereite Stimmung kippen lassen.« CDU-Generalsekretär Kai Wegner zeigte sich üblicherweise empört. Bayram würde mit ihren Äußerungen Misstrauen unter den Flüchtlingen säen und damit der Integration einen Bärendienst erweisen.
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