Auf den Spuren von Ilf und Petrow

Felicitas Hoppe reiste durch die USA

  • Kathrin Schug
  • Lesedauer: 3 Min.

Im fahlen Licht des Mondes wirkte die stählerne Spitze des Empire State Building wie von Schnee bedeckt«, notierten Ilja Ilf und Jewgeni Petrow kurz nach ihrer Ankunft in New York. »Lange standen wir schweigend da, die Köpfe in den Nacken gelegt. Die Wolkenkratzer von New York machen einen stolz auf die Menschen der Wissenschaft und der Arbeit, die diese prächtigen Bauten geschaffen haben.«

In Stalins Auftrag bereiste das Schriftstellerduo im Herbst 1935 für die »Prawda« die USA. Mit bemerkenswerter geistiger Offenheit, unverbrüchlicher Fortschrittsgläubigkeit und pathetischer Technikbegeisterung schilderten Ilf und Petrow ihre Erlebnisse hinter der Frontlinie des Kapitalismus. Begeistert beschrieben sie Autos und Grapefruits, schilderten ihre Begegnungen mit Indianern, Werktätigen und Hausfrauen aus dem Blick der Entdecker. Ihr Reisebericht »Das eingeschossige Amerika« geriet mit der Veröffentlichung 1937 zum sowjetischen Bestseller.

Es war ein glücklicher Zufall, dass die Büchner-Preisträgerin Felicitas Hoppe 2010 auf den Text aufmerksam wurde und sich für eine Neuauflage in deutscher Übersetzung stark machte: 2011 erschien der legendäre Reisebericht in einer schönen Ausgabe der Anderen Bibliothek. Hoppe, die das Vorwort verfasst hatte, ließ der Stoff nicht los. Mit der Fotografin Jana Müller und dem Künstler Alexej Meschtschanow machte sie sich im Herbst dieses Jahres auf, den Spuren Ilfs und Petrows zu folgen.

Von Boston über Detroit, Hollywood, Texas bis nach New York bereisten sie die Route, entlang der das Buch entstanden war. Ihre Eindrücke und Gedanken teilten sie auf einem lesenswerten Internet-Blog mit (www.3668ilfpetrow.com). Dort offenbaren sich verblüffende Parallelen, aber auch entlarvende Brüche, die verraten, dass das Land der ursprünglichen Reise nur noch ein Phantom ist.

So notierten Ilf und Petrow über ihren Besuch in den Ford-Werken der dreißiger Jahre: »Das Band läuft und hervorragende, billige Autos rollen herunter. Durch breite Tore fahren sie in die Welt, in die Prärie, in die Freiheit hinaus. Die Arbeiter, die sie hergestellt haben, bleiben in der Gefangenschaft. Ein erstaunliches Bild vom Triumph der Technik und dem Elend des Menschen.« Detroit, wo mit der Automobilindustrie einst das ökonomische Herz Amerikas schlug, ist heute das Symbol des Niedergangs schlechthin - eine Brache, die nur noch verblichen an die seligeren Zeiten des Fordismus erinnert. Die Nachreisenden finden an diesem Ort nur noch ein Besucherwerk mit Touristengalerie, von der aus sich die folkloristischen Arbeiter an ihren Fließbändern begaffen lassen wie exotische Tiere in einem Zoo.

Um den ökonomischen Herzschlag der Gegenwart zu fühlen, stattete die Gruppe auch dem Silicon Valley einen Besuch ab, »wo die Nerds auf bunten Fahrrädern wie Kinder über den Campus gleiten, um in flachen graubraunen Büros zu verschwinden und zu tun, was niemand zu sehen bekommt, weil es angeblich gar nichts zu sehen gibt.« Eine der vielen interessanten Beobachtungen dieser Reise ist sicherlich: Die Herzkammern des digitalen Kapitalismus der Gegenwart sind keine öffentlichen Orte.

»Was kann man über Amerika sagen«, fragten Ilf und Petrow am Ende ihrer Reise, »das einen gleichzeitig erschreckt und begeistert, mitleidig stimmt und Beispiele gibt, denen man nacheifern möchte, ein zugleich reiches und armes, talentiertes und unbegabtes Land? Mit der Hand auf dem Herzen können wir sagen: Es ist sehr interessant, dieses Land zu beobachten, aber leben möchten wir dort nicht.« Für sie galt: Wäre Amerika sowjetisch, dann wäre es das Paradies.

Was kann man heute, 2015, noch über die USA sagen? Viele sind der Meinung: nichts mehr, die Nation sei auserzählt. Damit will die Schriftstellerin Hoppe sich allerdings nicht zufrieden geben: »Die üblichen Mediendemagogen sagen oft, man könne Amerika heute nicht mehr sehen. Das glaube ich nicht. Ich will es zumindest versuchen«.

Ilja Ilf, Jewgeni Petrow: Das eingeschossige Amerika. Mit einem Vorwort von Felicitas Hoppe. Die Andere Bibliothek, 652 S., 40 €.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal