Was kommt nach »arm aber sexy«?
Unternehmensverband will mit Studie gemeinsame Strategie für die wachsende Stadt anregen
Berlin wird weiter wachsen und das, so lautet eine neue Prognose des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung auf vier Millionen Menschen bis zum Jahr 2030 - Neuberliner, die momentan als Flüchtlinge in die Stadt kommen, nicht mit eingerechnet. »Wachstum braucht Gestaltung«, ist dann auch die Losung, die die Berliner Industrie und Handelkammer (IHK) am Montag zu dieser Vorhersage ausgibt. Zusammen mit dem Institut hat der Verband eine Studie erarbeitet, die vor allem der Landespolitik klar machen soll, wo es aus Sicht der Wirtschaft inmitten des Booms hingehen soll.
Die Analyse des Ist-Zustandes ist dabei ernüchternd wie bekannt. Berlins Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, trotzdem bleibt die Stadt bei der Einkommensentwicklung Schlusslicht im Bundesvergleich. »Egal wo auf der Welt, Berlin gilt als ›cool‹, aber viele junge Leute suchen hier eben auch nach einem sicheren, auskömmlichen Arbeitsplatz und finden ihn nicht«, sagt Andreas Krüger Geschäftsführer der Belius GmbH, eine Berliner Beratungsgesellschaft für Stadtplaner und Projektentwickler.
Dass Berlin die Großindustrie, die die gut bezahlten, sicheren Arbeitsplätze garantiert, fehlt und diese auch nicht wiederkommen wird, haben sowohl Politik als auch Wirtschaftsverbände seit Längerem akzeptieren müssen. Nun will die IHK mit der Studie im Rücken in die Offensive gehen und hat dafür sechs »Megatrends« ausgemacht, denen sich Berlin bis 2030 stellen muss, darunter die wieder zunehmende Urbanisierung, der digitale und demografische Wandel, Mobilität und Partizipation.
»Arm aber sexy hat sich überholt, Berlin muss künftig smart und sexy sein«, sagt Ute Witt, Mitglied des Präsidiums der IHK Berlin. Gerade in den Bereichen der digitalen Infrastruktur habe Berlin noch einiges nachzuholen. Die Kreativwirtschaft aus Film, Musik und Medien, in der mittlerweile jeder zehnte Berliner beschäftigt ist, bringt der Stadt jedes Jahr rund acht Milliarden Euro ein, aber der Standort ist in Gefahr. Bei einem der wichtigsten Rohstoffe, der Übertragungskapazität des Breitbandnetzes hinkt die Stadt etwa Köln oder Bonn hinterher. Außerdem gilt als wenig modern, dass Berlin nach wie vor über kein flächendeckendes öffentliches WLan-Netz verfügt.
In der anstehenden Pensionierungswelle im öffentlichen Dienst sehen die Autoren der Studie eine Chance, die Digitalisierung der Berliner Verwaltung voranzubringen. Allerdings fehle es vor allem im Schulsystem an geeigneten Lehrplänen und Ausstattung, um so früh wie möglich Kompetenzen zu vermitteln.
Um Berlin fit für die demografischen Prognosen zu machen, sind Investitionen in Neubau, Schulsanierung und Infrastruktur für die IHK inklusive. »Sonst bleibt Berlin der Nachzügler unter den Metropolen«, sagt Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin. Ziel ist es, Berlin in den nächsten 15 Jahren in die erste Liga der internationalen Großstädte zu katapultieren.
Bei der geforderten großen gesamtstädtischen Wachstumsstrategie werden sich die Akteure jedoch auch mit den Berliner Realitäten auseinandersetzen müssen. Denn trotz guter Wirtschaftslage liegt das Netto-Durchschnittseinkommen bei 17 600 Euro pro Jahr (Bundesdeutsches Mittel sind 20 500 Euro). Laut einem Betriebspanel des DGB nutzen 80 Prozent der Berliner Betriebe prekäre Beschäftigungsverhältnisse, 55 Prozent der beschäftigten Frauen sind nicht im Normalarbeitsverhältnis angestellt und mehr als die Hälfte der freischaffenden KünstlerInnen arbeiten im Niedriglohnsektor. In der Wissenschaft sind neun von zehn Verträgen befristet.
Am kommenden Samstag wollen Honorarlehrkräfte für bessere Arbeitsbedingungen streiken. Sie arbeiten an Sprachschulen und in Integrationskursen, genau dort, wo Politik und Wirtschaft großes Potenzial sehen, bei den Neuberlinern.
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