Beobachtet, gespeichert, ausgewertet?

Thüringer Linksfraktion fordert von Verfassungsschutz Aufklärung über etwaige Bespitzelung des NSU-Ausschusses

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Verfassungsschutz weist den Vorwurf der Überwachung des Thüringer NSU-Ausschusses zurück. Die Linksfraktion hat aber weiter Fragen an den Geheimdienst.

Beobachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages? Anders formuliert: Spionierte der Geheimdienst ausgerechnet die parlamentarische Aufklärung aus, die seine mögliche Verstrickung in die Morde der neonazistischen Terrorbande aufdecken soll? Und hat der Verfassungsschutz dabei auch weiterhin die Linkspartei überwacht, obgleich es inzwischen Urteile gibt, die dies für nicht zulässig erklärt haben?

Diese Fragen beschäftigen seit Freitag nicht nur die Linksfraktion im Freistaat. Deren Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hatte erklärt, es gebe entsprechende Hinweise auf eine solche Überwachung. Die Politikerin zeigte sich empört - sie müsse »davon ausgehen, dass im BfV die Arbeit unserer Fraktion und speziell die Arbeit eines Untersuchungsausschusses, der unter anderem das Agieren der Nachrichtendienste im Kontext des NSU aufklären sollte und in dem auch Zeugen des BfV aussagen mussten, beobachtet, gespeichert und (elektronisch) ausgewertet wird«, so Hennig-Wellsow in einem dem »nd« vorliegenden Brief an den Präsidenten des Bundesamtes, Hans-Georg Maaßen.

Eine Sprecherin der Behörde hatte am Freitag zunächst zu den Vorwürfen keine Angaben machen wollen oder können. Inzwischen heißt es am Sitz des Geheimdienstes in Köln, man »weise einen derartigen Vorwurf entschieden zurück«. Doch die Linksfraktion gibt sich damit nicht zufrieden. Zu viele Fragen sind offen.

Rückblende: 2012 hatten die Journalisten John Goetz und Christian Fuchs ihr Buch »Die Zelle« über die Zwickauer Nazigruppe um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe veröffentlicht, die über Jahre Anschläge und Morde begangen haben sollen. Später wollte Fuchs wissen, ob der Verfassungsschutz auch ihn beobachtet hat: Der Geheimdienst musste zugeben, dass in seinen Akten Informationen über Fuchs gespeichert sind. Drei Besprechungen des Buches sind beim Verfassungsschutz aktenkundig - eine aus einer rechtsradikalen Zeitschrift, eine aus einem antifaschistischen Periodikum. Außerdem, und hier wurde die Linksfraktion aufmerksam, findet sich der Name des Journalisten in den Akten auch aufgrund einer Erwähnung seines Buches auf der Homepage der Thüringer Linksfraktion.

Fuchs’ Name taucht dort nur auf der Themenseite zum »Nationalsozialistischen Untergrund« und zur Arbeit des Untersuchungsausschusses des Thüringer Landtages auf. Warum der Verfassungsschutz »nicht alle, sondern nur ausgewählte Besprechungen des Buches gesammelt« hat, obwohl »Die Zelle« von fast allen relevanten deutschen Medien besprochen wurde, findet Hennig-Wellsow verdächtig: Warum weckt eine »knappe Erwähnung des Buches« auf der Sonderseite der Linksfraktion zum Untersuchungsausschuss das Interesse des Geheimdienstes?

Zu der Zeit war Bodo Ramelow noch Fraktionschef. Das Bundesverfassungsgerichtes hatte im Herbst 2013 entschieden, dass die langjährige Beobachtung des Politikers durch den Verfassungsschutz nicht zulässig ist. Hennig-Wellsow will deshalb auch wissen, ob der Geheimdienst die Thüringer Linksfraktion weiterhin beobachtet. Die ihr vorliegenden Hinweise drängten diese Frage geradezu auf, sagte sie. Dabei stelle sich die Frage, »ob diese Auswertung auch zur Vorbereitung von Zeugen des BfV im NSU-Untersuchungsausschuss« gedient habe, heißt es in dem Schreiben.

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