Schamlos und scheu

Jean-Louis Trintignant wird 85

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Dieser Schauspieler konnte ein Tiefseetaucher des Schreckens sein. Anwalt und Außenseiter. Ein Gesicht, in dem die Leere einen irritierenden Charme annahm. Lump und Liebhaber. Ein verschlagener Verführer hin zu den Gründen des Lebens, wo du enteignet stehst. Galan und Gangster. Kommt immer und überall auf der untersten Stufe seiner selbst an und erkennt das feine Fluidum des Verwehens. König der Entthronten oder Sklave irgend eines Hochamtes. Gönnerhaft schmierig, wie es nur Feiglinge sein können. Oder könnerhaft glatt, wie durch eine Ölpest gezogen. Schräg, schleimig, schlangenhaft, schamlos, schmerzbesessen, scheu.

Selbst wer nur wenige seiner Kriminal- oder Liebesfilme sah, traf auf einen Charakter, der mehr war als der Anlass einer Story. Die konnte noch so holzgeschnitzt sein, er spielte im Billigsegment wie selbstverständlich das, was er bei Vadim und Rohmer, bei Costa Gavras und Lelouch, bei Kieslowski, Robbe-Grillet und Truffaut zur Kunst erhob. Jean-Louis Trintignant war auf der Leinwand ein Mann, der kreatürlichen Witterungen mehr beimaß als moralischen Weisungskatalogen; er war der Gerechtigkeit Suchende, der selber ein Gesetzeshasser blieb; der Freie, der zwanghaft den Druck suchte, darunter man noch befreiter um sich schlagen kann. Das Gute als das langweilige Unanfechtbare, gegen das er fuchslistig seine ambivalenten Typen schickte. Die Niedrigkeit so sehr Autorität. Die Kälte so gediegen. Verdacht, Vertrauen, Vorurteil, Verrat und Schuld so trefflich verknotet. Immer dieser unruhige Untergrund der Nervgetroffenheit, der Unbehaustheit, des Randstolzes.

Der 1930 Geborene, einer der populärsten Schauspieler Frankreichs, hat bis ins hohe Alter Theater gespielt, auf Literaturbühnen rezitiert. Er nahm vor nicht allzu langer Zeit Abschied vom Beruf. Der künstlerische Endgruß schlug in Bann. Leise, grausam, sensationell: Michael Hanekes Film »Liebe«, Trintignant neben Emmanuelle Riva. Zwei über Achtzigjährige. Ein Mann und seine sterbende Frau. Der stumme Widerstand gegen eine Existenz, die immer weniger eine ist. Szene um Szene öffnet sich quasi das Grab um weitere Zentimeter; aber Szene um Szene wehrt sich das Leben - um den Preis einer wachsenden Ohnmacht, die aber eine faszinierende Würde behält. Liebe, das ist am Ende die Frage, wie viel an Unzumutbarem man aushält. Das Bewusstsein dieser beiden Menschen füreinander weiß, es ist nicht mehr vom Überleben die Rede, nicht mal mehr vom Weiterleben; aber dieses gemeinsame Bewusstsein, ohne jegliche Sicherheit zu sein, findet doch Halt beim Erzählen und Zuhören. Als fürchteten beide nicht den Tod, sondern das Schweigen.

Liebe: Sie schafft ein antreibendes Gedächtnis für Zugehörigkeit, für eine Kraft, die in schwersten Stunden alles Getön abschüttelt und nurmehr eine streichelnden Hand ist, ein langer trauriger Blick, der dem Elend im Gesicht des geliebten Menschen standhält. Wert der Gemeinsamkeit. Den zu leben eine Überforderung bedeutet. Trintignant und Riva spielen das in einer atemberaubenden Folge winzigster Regungen.

An diesem Donnerstag wird Jean-Louis Trintignant 85 Jahre alt.

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