Die Offenbarung der Propheten

Michel Houellebecq und der Islamische Staat

  • Erik Baron
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich sollte es erst 2022 soweit sein. Aber die Zeit hält sich, wie so oft, nicht an den Spielplan der Propheten. Michel Houellebecq, das Enfant terrible der französischen Gegenwartsliteratur, hat es in seinem letzten Roman »Unterwerfung« vorausgeschrieben: Marie Le Pen würde mit ihrer Front National im ersten Wahlgang (allerdings bei Präsidentschaftswahlen des Jahres 2022) zur stärksten Kraft in Frankreich gewählt werden, was das Land zunächst in Schockstarre versetze. Nun hat sich dieses Szenario in der Realität bereits sieben Jahre eher vollzogen. Der Schock sitzt trotzdem tief und droht zur gesellschaftlichen Lähmung zu führen. Also greifen wir uns einfach Houellebecqs Roman und schauen nach, wie das Szenario weitergeht.

In ihrer Angst vor der Manifestation des Rechtsrucks im Land verbünden sich Frankreichs Sozialisten und konservative Republikaner zu einer ungewöhnlichen Koalition mit der Muslimbruderschaft, die im zweiten Wahlgang tatsächlich den Front National verhindert. Einziger Wermutstropfen dieser Anti-Rechts-Koalition: Die Muslimbruderschaft geht nun aus den Wahlen als Sieger hervor und stellt den ersten muslimischen Präsidenten, der Frankreich in einen islamischen Staat verwandeln wird.

So weit, so schlecht, denkt sich nicht nur Houellebecqs Ich-Erzähler, der Literaturprofessor François, und fügt sich, zunächst noch skeptisch, den ersten Ausläufern der Scharia. Doch dann scheint sie für Frankreich gar nicht die schlechteste Lösung zu sein! Wirtschaftlich würde man einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus einschlagen und die Trennung zwischen Kapital und Arbeit aufheben, indem die Macht der Großkonzerne beschnitten würde und mehr Dezentralisation in Familienbetrieben erfolgte. Arbeiter würden auf diese Weise Anteilseigner werden. Die Familie würde, auch durch die Rückkehr zur Vernunftehe, wieder zur Keimzelle der Gesellschaft werden und der Staat Sozialausgaben bis zu 80 Prozent einsparen können. In der Bildung würde es zwar zu gravierenden Einschnitten kommen, die aber allesamt auch auf diese neue Familienform ausgerichtet sind: Schulpflicht gäbe es nur bis zur Sekundarstufe, die Mädchen hätten dann beizeiten die Möglichkeit, ihrer natürlichen Rolle in der Familie nachzukommen. Und für den Mann, insbesondere den sexbesessenen Macho wie unseren Literaturprofessor, ist die Polygamie, wie sie in der Scharia festgeschrieben steht, sowieso die beste Lösung! Nun sage doch noch einer etwas gegen diesen islamischen Staat!

Ja, ist denn dieser Houellebecq noch bei Sinnen!? - Der Beißreflex der Political Correctness sollte spätestens an dieser Stelle einsetzen und seiner liberalen Empörung freien Lauf lassen. Houellebecq hat ihn nach dem Erscheinen seines Romans (ausgerechnet an jenem Tag, als der islamistische Terror die Redaktionsräume von »Charlie Hebdo« verwüstet hat!) ausgiebig zu spüren bekommen. Er gieße Wasser auf die Mühlen derer, die er zu bekämpfen vorgibt und leiste mit seinem Roman der Islamophobie Vorschub. So lautet der Hauptvorwurf an ihn. Die selbsternannten Tugendwächter des Abendlandes aber, bei Houellebecq »Ureinwohner Europas« genannt, klatschten begeistert in die Hände, weil ein vermeintlich linker Autor endlich die wahre Gefahr erkenne.

So schön oberflächlich und eindimensional lässt sich Houellebecq rezipieren! Man braucht »Unterwerfung« nicht einmal zu Ende lesen, um sich in seiner vorgefertigten Meinung bestätigt zu sehen. Die ideologischen Scheuklappen geben einem immer recht und schützen vor (Selbst-)Ironie. Dann jedoch geht einem auch das letzte Kapitel verloren, in dem der Autor in den Konjunktiv wechselt - mit unmissverständlicher Botschaft: Wie kann man den Konjunktiv daran hindern, zum Indikativ zu werden?

Natürlich kann man, wie Frankreichs Präsident Hollande, zum totalen Krieg gegen den Phantomstaat IS aufrufen, natürlich kann man die Schotten innerhalb Europas und um Europa herum dicht machen, natürlich kann man mit einem Überwachungsstaat das öffentliche Leben lahmlegen - nur braucht man sich dann über die Konsequenzen nicht zu wundern.

Orwell, Huxley, Samjatin, Sorokin oder zuletzt Houellebecq haben es prophezeit. Es steht alles schon geschrieben. Man braucht sich nur zu besinnen und zu lesen.

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