CDU klatscht ihre Differenzen weg

Viel Applaus für Merkels Parteitagsrede zur Flüchtlingspolitik

  • Fabian Lambeck, Karlsruhe
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein in letzter Minute geänderter Leitantrag und eine überzeugende Rede der Parteichefin sorgten dafür, dass der CDU-Bundesparteitag am Montag harmonischer ausfiel, als viele erwartet hatten.

»Die Leute sind auf 180.« »So geht das nicht weiter«: Auf den Fluren vor dem Plenarsaal der Karlsruher Messe wurde teilweise heftig diskutiert. Der erste Tag des CDU-Bundesparteitags stand ganz im Zeichen der Flüchtlingspolitik. Auch der strahlende Sonnenschein und die frühlingshaften Temperaturen draußen vor der Halle konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in der Union gärt. Der Kurs der Kanzlerin, die sich vehement gegen Obergrenzen für Flüchtlinge ausspricht, wird von weiten Teilen der Basis mit großer Skepsis gesehen. Unter diesen Vorzeichen schien es durchaus denkbar, dass dieser Parteitag der sonst so souveränen Kanzlerin entgleiten könnte.

So hatte die Junge Union einen eigenen Antrag eingebracht, der sich für die Einführung von Obergrenzen aussprach. JU-Chef Paul Ziemiak hatte angedroht, die Diskussion um eine solche Begrenzung der Flüchtlingszahlen auch in Karlsruhe führen zu wollen. Auch aus der Mittelstandsvereinigung (MIT) und der Kommunalpolitischen Vereinigung, zwei einflussreichen Parteizusammenschlüssen, kamen Forderungen nach einer deutlichen Verringerung der Flüchtlingszahlen.

CDU in Zahlen

Die Christlich Demokratische Union in einigen ausgewählten Zahlen:

  • 448 088 Mitglieder (Stand Ende Oktober)
  • Sieben Vereinigungen hat die CDU – von der Jungen Union über die Frauen Union und die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft bis zur Kommunalpolitischen Vereinigung.
  • 17 Landesverbände – 14 in den Bundesländern außer Bayern und gleich drei in Niedersachsen. Dort ist die CDU Niedersachsen der Dachverband der CDU-Landesverbände Braunschweig, Hannover und Oldenburg.
  • Mehr als 40 Jahre in den 66 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik stellte die CDU den Kanzler oder die Kanzlerin.
  • 70 Jahre Parteibestehen feierte die CDU im Sommer – im Jahr 1945 waren erste Verbände der Christdemokraten entstanden, als Bundespartei schloss sich die CDU dann 1950 zusammen. dpa/nd

Um die Wogen bereits im Vorfeld zu glätten, hatte der CDU-Vorstand am Sonntagabend seinen Leitantrag abgeändert und um eine Passage ergänzt. Als Konzession an Merkels parteiinterne Kritiker fügte man ein, man sei »entschlossen, den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern«. Ein Andauern dieses Zuzugs »würde Staat und Gesellschaft, auch in einem Land wie Deutschland, auf Dauer überfordern«. Diese Kompromissformel sollte einerseits die Aufmüpfigen besänftigen und so verhindern, dass es auf dem Parteitag zum offenen Eklat kommt. Andererseits aber setzte Merkel sich durch: Das Wort Obergrenze suchte man im Leitantrag vergebens.

In ihrer mit Spannung erwarteten Rede am Montagvormittag gestand Merkel ein, dass sie noch nicht das passende Rezept gegen Schleuser und für die Sicherung der EU-Außengrenzen gefunden habe. »Wir haben es mit der größten Flüchtlingsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg zu tun«, machte die Kanzlerin den Ernst der Lage deutlich. Dies sei eine Bewährungsprobe für die Europäische Union. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die CDU-Chefin die Flüchtlingszuwanderung auf europäischer Ebene lösen will. Einen nationalen Alleingang der Bundesrepublik schloss sie damit quasi aus. Sie wiederholte zudem ihren schon legendär gewordenen Satz: »Wir schaffen das«. Sie bemühte große Vergleiche und erinnerte an den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg und die Deutsche Einheit. »Die Aufgabe der Integration der vielen, vielen Flüchtlinge ist riesig«, räumte Merkel ein und dankte den freiwilligen Helfern für ihren Einsatz. Ja, sie dankte sogar ihren Kritikern. »Die Veränderungen im Antrag sind richtig, denn jetzt nehmen wir auch die Sorgen und Nöte der Menschen wahr.«

Dafür gab es minutenlangen Applaus und stehende Ovationen von den rund 1000 Delegierten. Es war, als würde die Partei ihre Konflikte wegklatschen wollen. Insgesamt neun Minuten, so ein ARD-Journalist später, hätte der Applaus angedauert.

Doch nicht alle waren nach ihrer Rede überzeugt. Bundestagsfraktionsvize Arnold Vaatz etwa erklärte in seiner Rede, er könne dem Antrag nicht zustimmen. Indirekt äußerte der sächsische Parlamentarier Verständnis für die ungarische Regierung, die ihre Grenze für Flüchtlinge dicht gemacht hatte. So weit wie Vaatz wollte aber kaum einer der vielen Redner gehen. Die meisten zeigten sich zwar besorgt und äußerten ihre Bedenken, erklärten jedoch, den Leitantrag unterstützen zu wollen.

Zumal das Papier durchaus auch die populistische Parteiseele bedient. So hatte sich die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner bereits am Donnerstag durchgesetzt und ihr Konzept eines »Integrationspflichtgesetzes« im Leitantrag untergebracht. Klöckner, die im März Landtagswahlen bestreiten muss und der die rechtspopulistische AfD im Nacken sitzt, konnte sich so auch parteiintern profilieren. Am Montag legte die ehemalige Weinkönigin noch einmal nach und forderte in der »Welt« ein Verbot der Vollverschleierung muslimischer Frauen.

Nicht wenige halten sie für eine der potenziellen Nachfolgerinnen Merkels. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble machte seine Position noch einmal klar und sprach sich gegen den Familiennachzug von Flüchtlingsfamilien aus. »Dann verlieren wir die Kontrolle«, warnte der frühere Bundesinnenminister. Doch noch hat Merkel das Land und, nach ihrer Rede, auch ihre Partei wieder unter Kontrolle. Der Parteitag stimmte dem Kompromissantrag bei zwei Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen zu.

Auch der Initiativantrag von ein paar Renegaten um den ewigen Nörgler Wolfgang Bosbach konnte den Parteifrieden nicht mehr gefährden. Ihr Vorstoß sah vor, Flüchtlinge, die über sichere Drittstaaten einreisen, »schon an der Grenze« abzuweisen. Es war dann Bundesinnenminister Thomas de Maizère persönlich, der gegen den Antrag redete und den »Vorrang von europäischen Maßnahmen vor nationalen Maßnahmen« betonte. Die Delegierten wiesen den Antrag mit großer Mehrheit zurück.

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