Hinein ins Sexwunderland

Das »Haus der Löcher« erfüllt alle erotischen Sehnsüchte. Von Christian Baron

  • Christian Baron
  • Lesedauer: 2 Min.

Wer sich traut, in diesem Waschsalon irgendwo in New York City in den dritten Trockner von rechts zu klettern, erlebt ein erotisches Wunder. Denn jenseits des sich öffnenden Portals erscheint ein Sexwunderland am Meer, ein Wunschpalast, ein Domizil der Ausschweifung, wo Frauen und Männer sich ihrem körperlichen Begehren hingeben können.

Im »Haus der Löcher«, so der Titel des 2012 erschienenen Romans von Nicholson Baker, geht es nicht um Geld, nicht um Macht, nicht um Intrigen, aber auch nicht um Romantik, sondern einzig und allein um richtig guten Sex. Alle erotischen Sehnsüchte erfüllen sich hier, und ein durch die Direktorin namens Lila konzipiertes System ermöglicht, dass jeder auf seine Kosten kommt, ohne dabei irgendwem zu schaden.

Da gibt es zum Beispiel Wade, der auf dem Hotelzimmer liegt und den plötzlich die Lust auf Analsex packt. Er wählt die Sex-jetzt-Taste und Koizumi betritt den Raum, die seine Vorliebe leidenschaftlich teilt. »Ich glaube, der Anus ist das Zentrum von Lebensenergie und Bewusstsein«, haucht sie, während sie ihren runden Po nach oben reckt, »einen miauenden Singsang« anstimmt und »seine heftigen Hüftstöße« erwartet.

Weil hier alles nach der Logik des klassischen Tauschhandels funktioniert, muss Wade anschließend anderen einen Gefallen tun. In diesem Fall ist es Reese, die sich nach einem Mann sehnt, dem sie beim Blowjob nicht ständig in die Augen blicken muss. Überhaupt kein Problem, denn Lila sorgt dafür, dass sich genügend Männer einer zeitweiligen Enthauptung unterziehen und anschließend im Kopflosenzimmer die holde Damenwelt beglücken.

Vor dem Köpfen gibt es eine das Schmerzempfinden betäubende Pille, nach der Entfernung steht das Oberstübchen dann auf einem Sockel mit Rädern und eine reizende Frau hütet es liebevoll.

Überhaupt muss jeder Mann, der das »Haus der Löcher« besucht, aus hygienischen Gründen zuerst in die Peniswaschanlage. Dort pflegen Frauen (bei Schwulen selbstredend Männer) den Schambereich ihrer Schützlinge, für den sie viele grandiose Begriffe verwenden: Dingdong, Donnerrohr, United Parcel, Mandingo, Moschusficker, Dickschwanz, Saftsprüher, wildgewordener Jacquard. Wie auch immer man ihn nennen mag, der Penis soll jedenfalls am Ende »hart sein wie Schiffszwieback, nur frischer«.

Bakers Pamphlet für die Freiheit der Lüste ist natürlich politisch zu lesen: Im Gegensatz zur »50 Shades of Grey«-Reihe, die sich provokant gibt und doch nur reaktionäre Geschlechterverhältnisse reproduziert, ist das »Haus der Löcher« ein paradiesischer Ort, an dem Lustgewinn und Emanzipation sich vereinen.

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