Klassische Musik im Tausch gegen frische Eier

Die Auftritte der Berliner Symphoniker haben die Dorfkirche von Altmädewitz gerettet - Heiligabend erklingt dort nun erstmals wieder die Orgel

  • Jeanette Bederke
  • Lesedauer: 4 Min.
Luise und Götz Bernau bringen klassische Musik ins Oderbruch. Der einstige erste Konzertmeister der Berliner Symphoniker ist jetzt Kirchenmusiker und Stehgeiger weitab der Großstadt.

Wenn Berliner Symphoniker im Oderbruch auftreten, gibt es als Honorar nur ein paar frische Eier. Denn die Musiker stehen dann nicht auf der großen Bühne, sondern in der winzigen Dorfkirche von Altmädewitz (Märkisch-Oderland). Um die Dorfkirche geht es auch bei den Benefizkonzerten, zu denen Luise und Götz Bernau jeweils an ihren Geburtstagen im Mai und September einladen. »Da kommen pro Konzert mehrere Hundert Euro zusammen. Damit kann man schon etwas anfangen«, sagt die 74-jährige Luise Bernau.

Acht dieser besonderen Konzerte in Kammermusikbesetzung hat sie bisher organisiert, vor durchschnittlich 60 bis 80 Zuhörern in dem kleinen, noch im Originalzustand erhaltenen Gotteshaus, das 1837 auf Initiative der Bauern von Alt- und Neumädewitz errichtet wurde. Mit dem Geld konnten der Eingangsbereich inklusive Fußboden erneuert, das Glockenläuten automatisiert und jetzt gerade die schon Jahre nicht mehr spielbare Orgel wieder in Gang gebracht werden. Am Heiligen Abend wird die Wriezener Kirchenmusikerin Christiane Moritz die Orgel um 14.30 Uhr erstmals wieder zum Klingen bringen, begleitet von Götz Bernau auf der Violine. Der 74-jährige Götz Bernau war bis zu seiner Pensionierung vor zehn Jahren erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker und nutzt die alten Kontakte nun für »bürgerschaftliches Engagement«, wie er sagt.

Damals, so erinnern sich die Bernaus, wollten sie raus aus der Großstadt Berlin, in der sie lange gelebt hatten. Das Oderbruch, das sie von Ausflügen kannten, erschien ihnen besonders reizvoll. In Neumädewitz nahe Wriezen fanden sie ein völlig marodes, 100 Jahre altes Bauernhaus, und dem früheren Konzertmeister juckte es sofort in den Fingern. »Viele Musiker sind nebenbei Handwerker. Vielleicht, weil sie auf ihren Instrumenten nichts Bleibendes schaffen. Töne verklingen einfach«, beschreibt er. Vier Jahre lang hat er an dem typischen Mittelflurhaus gewerkelt, auch das Dachgeschoss ausgebaut, für die vier Kinder, die ab und zu mit ihren Familien zu Besuch kommen.

Vor vier Jahren zogen Bernaus ganz raus nach Neumädewitz, in das winzige Dorf mit 39 Gehöften, wo sie sich als einzige Zuzügler aus der Großstadt sehr wohl fühlen. »Wir haben nette Nachbarn und waren überrascht über die vielen Künstler, die sich im Oderbruch niedergelassen haben«, erzählt Luise Bernau.

Besonders beeindruckt sind sie vom Theater am Rand im nur wenige Kilometer entfernten Zollbrücke, das der Schauspieler Thomas Rühmann und der Musiker Tobias Morgenstern kurz hinter dem Oderdeich aus dem Boden stampften und zu einer Erfolgsgeschichte machten. Götz Bernau gehört dort inzwischen als Stehgeiger zum Salonorchester aus Laien und Profis, das zu monatlichen Tanztees aufspielt.

Die denkmalgeschützte Dorfkirche in Altmädewitz entdeckten sie erst später. Grau verputzt wirkt sie von außen ziemlich unscheinbar. »Eine Kirche gehört nicht nur in die Mitte des Ortes, sie muss auch leben«, beschlossen die Bernaus, die sich darüber wunderten, wie wenig sich die Anwohner mit ihrem Gotteshaus identifizierten. Es habe zwar einen Förderverein für die Rettung der Kirche gegeben, der aber keinerlei Ideen mehr hatte, wie an Geld zu kommen sei. Auch Pfarrer Christian Moritz von der evangelischen Kirchengemeinde Wriezen, zu der Altmädewitz gehört, hob nur abwehrend die Hände. »Wir haben mit dem desolaten Sakralbau in Wriezen alle Hände zu tun, gerade Fördermittel beantragt, um das Dach endlich dicht zu bekommen«, sagt er. Deshalb ist der Pfarrer froh über das Engagement der Bernaus in Altmädewitz.

»Wenn keine öffentlichen Mittel zur Verfügung stehen, ist Benefiz notwendig«, glauben die beiden Zuzügler aus Berlin. Sie werden noch einiges zu tun haben: Die Kirchendecke ist fleckig, die grau gestrichenen Kirchenbänke wirken abgewetzt, die Farbe an den hölzernen Emporen und an der Kanzel könnte eine Auffrischung gebrauchen.

Aber die Akustik stimmt, sagt Bernau und greift zu seinem Instrument. »Stille Nacht, heilige Nacht« klingt es durch die Kirche, und sofort kommt Weihnachtsstimmung auf. »Bernaus bringen hochkarätige, klassische Musik ins Oderbruch, und die Anwohner haben keine Berührungsängste, sondern genießen Kultur, die ihnen so sonst nur in der Großstadt geboten wird«, lobt der Pfarrer, wohl wissend, dass Violinist Bernau am Heiligen Abend zum vierten Mal auch das Nachtkonzert in der Wriezener Kirche bestreiten wird. dpa

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