Mit Freude aufs Land

Sachsen will Lehrermangel in der Provinz mit Stipendium mindern - das Echo ist positiv

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
70 Prozent der Lehrer, die sich in Sachsen für dieses Schuljahr um eine Anstellung bewarben, wollten in Dresden oder Leipzig arbeiten. Ein Stipendium soll nun mehr Lehrer in ländliche Gegenden bringen.

Mit einer neuen Initiative will das Land Sachsen künftige Lehrer und Lehrerinnen aufs Land locken. Mit Erfolg: Für die zunächst 50 Lehrer-Stipendien gab es dreimal so viele Bewerbungen. Wer den Zuschlag bekam, kann sich über monatlich 300 Euro freuen - und verpflichtet sich im Gegenzug, in einer ländlichen Gegend zu unterrichten.

Wobei der Begriff ländlich weit gefasst ist, schon die Großstadt Chemnitz mit ihren 250 000 Einwohnern zählt dazu. Das liegt daran, dass nur wenige Absolventen nach Chemnitz wollen. Für kleinere Orte gilt das oft erst recht. Zahlen belegen das Missverhältnis: 1600 Frauen und Männer hatten sich für das neue Schuljahr um eine Anstellung beworben, 70 Prozent davon wollten aber nur in Dresden oder Leipzig arbeiten. Zudem stehen Gymnasien ganz oben in der Gunst der künftigen Lehrer und Lehrerinnen. Dort verdienen sie besser, die Arbeit gilt als anspruchsvoller als etwa in der Grund- und Mittelschule.

Das sieht Marie May nicht so. Die 25-Jährige stammt aus Neustadt in Sachsen und möchte an einer Mittelschule im ländlichen Raum arbeiten: »Ich habe mich für den Raum Bautzen beworben, das wäre benachbart zu meinem Heimatkreis.« Die künftige Lehrerin für Biologie und Französisch ist im 9. Fachsemester und studiert Lehramt an Mittelschulen. Trotz der Studienjahre in Leipzig fühlt sie sich ihrer Heimat verbunden, Freund und Familie leben dort. Die Bewerbung für das Stipendium war für Marie May da nur folgerichtig: »Das Geld bekomme ich zusätzlich zum Bafög, darüber freue ich mich sehr.«

Durch Praktika an verschiedenen Schulen weiß die angehende Lehrerin, was auf sie zukommt: »Ich bin selbst auf eine Mittelschule gegangen und habe an einem Beruflichen Gymnasium mein Abitur gemacht. Mir hat es an der Mittelschule gut gefallen, ich freue mich auf den Unterricht.«

Ähnlich sieht es Anja Kaulvers. Sie studiert Sonderpädagogik und Sport im 7. Semester und bekommt wie Marie May seit November das Stipendium: »Ich komme aus Annaberg-Buchholz und würde nach meinem Studienende in drei Jahren gern im Erzgebirge bleiben.« Die 23-Jährige fährt jedes Wochenende nach Hause, arbeitet dort als Volleyball-Übungsleiterin und als Kampfrichterin beim Geräteturnen. Viele ihrer Kommilitonen kommen aus den alten Bundesländern und wollen dahin zurück. Dort haben sie eine höhere Chance, verbeamtet zu werden und mehr Geld zu verdienen. Da bleiben nur wenige Interessenten für Schulen im ländlichen Raum von Sachsen. Kaulvers: »Für mich ist das Stipendium eine schöne Sache, aber ich gehe nicht wegen des Geldes zurück, sondern aus Heimatverbundenheit.« An der Sonderpädagogik reizt sie die große Vielfalt: »Es geht nicht nur ums Unterrichten.«

Die beiden Studentinnen haben sich zunächst schriftlich für das Stipendium beworben und mussten dann ein Auswahlgespräch in Dresden im Kultusministerium bestehen. Zusätzlich zu den monatlich 300 Euro gibt es eine ideelle Förderung: Fortbildungen, individuelle Begleitung sowie Kontakt- und Vernetzungsangebote in der künftigen Einsatzregion.

Die Stipendiaten sollen mindestens so lange auf dem Land arbeiten, wie sie gefördert worden sind. Insgesamt 600 000 Euro will der schwarz-rot regierte Freistaat für diese Maßnahme 2015 und 2016 ausgeben. Mit 50 Stipendiaten wurde begonnen, bis Ende 2017 soll die Zahl auf 100 steigen und dann konstant bleiben. Laut Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) ist Sachsen das erste Land mit einem solchen Lehrer-Stipendium.

Bis 2030 geht nach Angaben des Ministeriums rund die Hälfte der derzeit etwa 30 000 sächsischen Lehrer in den Ruhestand. »Mit dem Stipendium«, so Ministerin Kurth, »möchten wir erreichen, dass auch in Zukunft alle Kinder und Jugendlichen in ganz Sachsen die gleichen Bildungschancen haben.« Für das Stipendium in Frage kommen nur Bewerber in den Studiengängen Lehramt an Grundschulen, Mittelschulen und Sonderpädagogik ab 5. Fachsemester. Und sie müssen ihr Studium innerhalb der Regelstudienzeit absolvieren.

Um Ärzte dazu zu bringen, auf dem Land zu praktizieren, hat Sachsen bereits ein ähnliches Programm wie das Sachsen-Stipendium ins Leben gerufen: Zwanzig Medizinstudenten pro Studienjahr können mit monatlich 1000 Euro unterstützt werden, wenn sie sich später als Hausarzt außerhalb der großen Städte niederlassen.

Informationen zum Lehrerstipendium unter: www.lehrerbildung.sachsen.de/sachsenstipendium.html

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