Von Schnäuzern und Vollbärten

Neues Museum in Mitte zeigt in einer Ausstellung die Kulturgeschichte des Bartes

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Wild muss er aussehen, zerzaust, und so, als würde sein Besitzer keinen Gedanken an die Gesichtsbehaarung verschwenden - selbst wenn die tatsächliche Pflege des Gesichtsbusches in Wahrheit viele Stunden vor dem Spiegel in Anspruch nimmt. Der Vollbart feiert ein Comeback, und nicht sein erstes. Diesmal kommt er gemeinsam mit Skinny-Jeans, engen karierten Hemden, oder weit ausgeschnittenen T-Shirts. Noch vor 40 Jahren waren seine Partner die Schlaghosen und Batik-Shirts.

Jede Epoche, jede Kultur, jeder politische Umsturz - selten stand der Bart im Vordergrund, aber immer blieb auch eine bestimmte Art der Gesichtsbehaarung im Gedächtnis. Die Sonderausstellung »Bart - zwischen Natur und Rasur« im Neuen Museum rückt den Bart ins Zentrum der Geschichte. Von der Marx’schen Vollbart-Revolution, über das deutsche Kaiserreich der gezwirbelten Schnurrbärte bis zur Conchita Wurst-Moderne.

Der Gang durch die Bart-Ausstellung vermittelt - im Kontrast zum herrschaftlichen Design der neuesten Ausstellungsstätte auf der Museumsinsel - den Eindruck einer Stöberei im Privatkeller eines spleenigen Sammlers, der dort alles zusammengetragen hat, was im entferntesten mit Bärten zu tun hat, aus Spielzeug- und Modeläden ebenso wie aus Ausgrabungsstätten.

Der Bart ist niemals nur ein Bart. So weist ein Karl-Marx-Aufsteller die Besucher am Eingang der Sonderausstellung ein. Vielmehr sei er ein Symbol, er könne Herrschaft, Gefolgschaft oder Rebellion ausdrücken, Individualität ebenso wie eine Massenerscheinung. Bärte waren schon immer auch Objekt der Politik. In der Antike galt der Dreiklang: Weisheit, Alter und Bart. Kein Wunder also, dass Platon, Sokrates und Aristoteles allesamt lange Wallemähnen am Kinn trugen. Alexander der Große, brach mit dieser Tradition, wohl auch, um sich eher als Mann der Tat denn als Philosoph zu präsentieren. Er wurde der erste glattrasierte Herrscher. Ihm folgten weitere und erst Hadrian, der vierzehnte römische Kaiser, ließ wieder wachsen und sorgte für eine Trendumkehr.

Die Erklärungen sind eher knapp gehalten, der Betrachter soll sich selbst mit seinem Haarwuchs auseinandersetzen. Auf kleinen Hockern liegen dafür Schreibhefte bereit. »Warum trägst du (k)einen Bart?« fragt eines der Hefte. »Macht dich ein Bart männlich?« Erbitterte Diskussionen über Geschlechterklischees füllen die Seiten nicht. Die Besucher belassen es bei kleinen Comiczeichnungen und »Ich war hier«-Bekundungen.

Ein Kunstfilm zeigt die Rasur eines Kaktus, daneben Rasierutensilien von der Bronzezeit bis zum ersten elektrischen Rasierer von 1938. Die Aussteller haben Bildern und Büsten berühmter Bart-Träger zusammengetragen, Auguste Rodin, Karl Marx. Aber auch viel Nippes: ein Quartettspiel zum Thema Bart, ein Schnuller für Babys mit aufgemaltem Schnurrbart, Hipster-T-Shirts.

Was fehlt, ist der rote Faden in diesem Sammelsurium. Die Informationstafeln sind nur wenig hilfreich. Auch sie sind eher eine Ansammlung von schlaglichtartigen Informationen, netten Anekdoten und berühmten Zitaten zum Thema Bart - aber ohne erkennbaren Zusammenhang. So erfährt der Besucher, dass das männliche Barthaar durchschnittlich um 12 Millimeter im Monat wächst, dass Zar Peter der Große Bärte per Gesetz verbieten ließ und allen, die sich dem widersetzten eine Bartsteuer auferlegte, und dass in politischen Kämpfen oft auch der Bart des Gegners zur Zielscheibe kritischer Bemerkungen wurde. Brecht sagte einst über Adolf Hitler: »Dem sein Bart, ist von ganz besondrer Art. Kinder da ist etwas faul: Ein so kleiner Bart und ein so großes Maul.«

Vor einem Flatscreen können die Besucher sich fotografieren lassen, mit vorgehaltenen Pappbärten - Schnurrbart, Hipster-Bart, Weihnachtsmannbart. Die Macher dieser kleinen Sonderausstellung wollen zu viel: Interaktiv, unkonventionell, High-Tech-Spielereien und klassische Ausstellungselemente. Am Ende aber fehlt das Konzept hinter den Spielereien und zusammengetragenen Bartutensilien.

Highlight der Ausstellung ist die Installation der »bearded woman« Mariam - ein kleiner Pavillon, ausgekleidet mit rotem Samt. Darin hängen vergilbte Schwarz-Weiß-Fotographien, teilweise Werbeplakate, von Frauen mit wallenden Vollbärten. Die Bilder zeigen die Frauen auf Jahrmärkten und im Zirkus, wo sie als Freaks ausgestellt wurden. Mariam trägt ebenfalls einen Vollbart. Ein Film in dem kleinen Pavillon zeigt sie in Gesprächen mit anderen Frauen, zeigt die Irritation ihrer Gesprächspartner, und ihre Geschichte: Wie sie lernte ihren Bart zu akzeptieren, ihn zu pflegen und andere »bearded woman« zu unterstützen.

Mehr als zwanzig Mitarbeiter der Staatlichen Museen, Archäologen, Historiker und Ethnologen und Soziologen haben die Ausstellung konzipiert. Für eine wirkliche Kulturgeschichte des Bartes hatten sie aber entweder zu wenig Platz oder zu viele verschiedene Ideen.

Neues Museum, Bodestraße, Mitte, bis 28.2.16; tägl. 10-18 Uhr (Do. 10-20 Uhr); www.smb.museum

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