Alleine wird das vermutlich nichts

Eine Studie zum vierjährigen Arbeitskampf bei Amazon zweifelt daran, dass die Beschäftigten ohne Unterstützung von außen den Konzern in die Knie zwingen werden können

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein vorbildhaftes Organisieren, eine starke gewerkschaftliche Basis im fast gewerkschaftsfreien Raum des Onlinehandels, doch der Kampf um den Tarifvertrag bei Amazon wird sich hinziehen.

Arbeiten bei Amazon ist supi, und alle sind happy. Ungefähr so stellt sich der deutsche Blog des Weltmarktführers im Onlinehandel dar. Eigenwerbung pur: Amazon habe über 800 neue Vollzeitjobs durch Entfristung geschaffen, weitere sollen folgen. Eine Amazon-Beschäftigte lobt den Handscanner, mit dem sie durch die Regalreihen läuft und die Waren »pickt«. Früher sei es viel komplizierter gewesen, noch mit Zettel und Papier. Wenn das alles nichts ist, wer will da noch maulen. Und um nicht missverstanden zu werden: Es geht hier nicht darum, die Beschäftigten, die auf dem Konzernblog über ihre Arbeit positiv berichten, zu kritisieren. Aber gemault wird bei Amazon, und zwar laut und das seit Jahren. Was der PR-Blog nicht zeigt, ist, dass beim Handelsriesen ein erbitterter Kampf tobt. Beschäftige gegen Management, ver.di gegen Amazon. Der organisierte Teil der Belegschaft will einen Tarifvertrag und zwar nach den Bedingungen des Versandhandels. Amazon verweist indes darauf, dass man sich am Logistiktarifvertrag orientiere - und verweigert jede Verhandlung.

Das erste Organizing-Projekt startete die Dienstleistungsgewerkschaft Anfang 2011 am Standort im hessischen Bad Hersfeld. 79 von rund 3000 Beschäftigten waren ver.di-Mitglieder, eine »gewerkschaftsfreie Zone«, schreiben Jörn Boewe und Johannes Schulten. Doch dieses Bild wandelte sich schnell. Ein Jahr später waren rund 500 KollegInnen der Gewerkschaft beigetreten, es gab 20 gewerkschaftliche Vertrauensleute, Aktivenkreise. Und ver.di ließ nicht locker.

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Erneut Streiks

Leipzig. Die Gewerkschaft ver.di hat am Donnerstag erneut zum Streik beim US-Versandhändler Amazon in Leipzig aufgerufen. »Wir streiken weiter und möglichst so, dass die Aktionen überraschend kommen und die Geschäftsführung erst sehr kurzfristig gegensteuern kann«, sagte Jörg Lauenroth-Mago, der ver.di-Fachbereichsleiter für den Handel in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Ver.di rief während der Frühschicht zu der Aktion auf. Erst am Mittwoch hatte es Arbeitsniederlegungen in Leipzig, Rheinberg und Werne (Nordrhein-Westfalen) gegeben. Die Gewerkschaft will für die knapp 11 000 Mitarbeiter in Deutschland einen Tarifvertrag auf dem Niveau des Einzel- und Versandhandels durchsetzen. dpa/nd

Paketdienst

Hamburg. Der Onlinehändler Amazon schickt sich an, mit dem Aufbau eines eigenen Paketnetzes dem Platzhirsch Deutsche Post DHL und seinen Konkurrenten ein dickes Stück aus dem Zustellerkuchen wegzuschneiden. »Amazon will Flexibilität gewinnen, neue Services wie Same-Day-Zustellung anzubieten«, sagte der Leiter von Amazon Logistics, Bernd Schwenger, der »Deutschen Verkehrs-Zeitung«.  »Hier hilft ein eigenes Angebot.« Es werden bereits geeignete Standorte für Verteilzentren gesucht. Das seit Oktober betriebene Verteilzentrum in Olching bei München dient dabei als Modellprojekt. »Zunächst werden wir andere Metropolen angehen und in Stadtnähe Verteilzentren aufbauen«, sagte Schwenger der »DVZ«. AFP/nd

Kurz vor Weihnachten 2015, das traditionell nicht nur Amazon, sondern der Handelsbranche insgesamt - stationär wie online - den Löwenanteil des Jahresumsatzes beschert, rief die Gewerkschaft zum Streik auf. Beschäftigte in sieben der neun Standorte folgten dem Aufruf. Bis hierhin ist es eine Erfolgsgeschichte. Die Journalisten Jörn Boewe und Johannes Schulten haben beim jüngsten Vorweihnachtsstreik in Leipzig vor 350 Beschäftigten ihre Studie »Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigten. Labor des Widerstands - Gewerkschaftliche Organisierung im Onlinehandel« vorgestellt. Das im Dezember bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) erschienene Heft fasst die Auseinandersetzung seit 2011 zusammen auf Basis von Interviews mit Beschäftigten und GewerkschafterInnen detailliert und mit wissenschaftlichen angereichert zusammen, analysiert sie und unterbreitet einen Vorschlag für eine Unterstützungsarbeit von außen.

Denn die Autoren kommen zu einem gespaltenen Ergebnis zum seit vier Jahren andauernden Arbeitskampf. Einerseits sei ver.di eine beispielhafte Organisierung in einem bis dahin nahezu gewerkschaftsfreien Bereich gelungen, an der sich auch andere orientieren könnten. Die äußerst aktiven und kreativ agierenden Vertrauensleutestrukturen seien das Rückgrat des Kampfes. Beispielhaft sei auch, schreiben Boewe und Schulten, dass diese Strukturen weitgehend selbsttätig agiert - ohne die Gewerkschaft: »Es hat sich ein Wechselverhältnis gegenseitiger Befruchtung von betrieblicher Gewerkschaftsbasis und hauptamtlichem Apparat herausgebildet, das zwar alles andere als konfliktfrei ist, aber dennoch eine der wichtigsten Ressourcen der Bewegung bildet«.

Doch obwohl durch die Streiks und eine gute Betriebsrats- und Vertrauensleutearbeit bislang Lohnsteigerungen, ein kleines Weihnachtsgeld sowie Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erreicht werden konnten, haben die Autoren »ernsthafte Zweifel«, dass die Beschäftigten allein den Konzern zur Aufnahme von Tarifverhandlungen zwingen werden können. Zu gewerkschaftsfeindlich sei Amazon. Das wiederum führe auch zu Spaltungen innerhalb der Belegschaft. Gewerkschaftlich Aktive müssten sich überdies im Betrieb mit Schikane, Nichtverlängerung von Arbeitsverträgen und Mobbing auseinandersetzen, wie Beschäftigte glaubhaft in den Interviews versichern.

Darum schlagen Schulten und Boewe eine breite gesellschaftliche Kampagne vor, in deren Vorfeld Amazon genau unter die Lupe genommen wird, mögliche Verbindungen und Verbündete gesucht und gefunden werden. Denn: Amazon ist kein Problem des Handels allein. Allein bei ver.di sind neben dem Fachbereich Handel und Versandhandel oder Postdiensten, Spedition und Logistik oder dem Bereich Medien, Kunst und Industrie insgesamt sechs der 13 Fachbereiche betroffen. Sei es beim jüngsten Zoff mit dem Buchhandel, dem Urheberrechtsstreit mit den SchriftstellerInnen, dem Ärger mit der Lokalpolitik wegen Subventionstourismus oder verwaisten Innenstädten: Amazon macht sich überall Feinde. Daran gelte es anzuknüpfen, daran lasse sich eine Kampagne gegen Amazon festmachen, die Wirkung entfalten könnte - mit den Forderungen der Beschäftigten im Mittelpunkt und Vordergrund.

Voraussetzung hierfür ist unter anderem eine stärkere Vernetzung - auch international. Darauf setzt auch ver.di: Unter dem Dach von UNI Global Union versucht die Dienstleistungsgewerkschaft, die verschiedenen europäischen Standorte an einen Tisch zu bekommen. Zudem gibt es bereits jetzt an mehreren Standorten Solidaritätskomitees, die die Anliegen der Beschäftigten in breitere Gesellschaftskreise tragen wollen.

Einen langem Atem brauchen die Beschäftigten in jedem Fall. Denn nach wie vor verweigert der US-Konzern Tarifverhandlungen. ver.di will das nicht akzeptieren und auch 2016 mit weiteren Streiks Druck machen. »Für uns ist es klar: Wir können den Marktführer nicht dauerhaft ohne Tarifvertrag lassen«, erklärte ver.di-Fachbereichsleiter in Sachsen, Jörg Lauenroth-Mago.

Zudem soll die internationale Vernetzung Schwerpunkt werden. Das ist besonders wichtig, weil Amazon inzwischen ein System erprobt hat, bei dem die Arbeit leichter zwischen den Standorten verteilt werden kann. Erste Solidaritätsaktionen gab es bereits in Frankreich und Polen. Enge Kooperation sei dabei essenziell, betont der polnische Gewerkschafter Kacper Stachowski: »Der Kampf mit einer globalen Firma, kann nur global geführt werden.«

Jörn Boewe/Johannes Schulten. Der lange Kampf der Amazon-Beschäftigen, 58 Seiten, kostenlos zu bestellen bei der RLS. Download hier: dasND.de/Amazon

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