Stripper in der Subprime-Krise

Im Kino: »The Big Short« von Adam McKay

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.
In der Finanzkrisen-Farce »The Big Short« werden keine Monologe vor Kuchendiagrammen gehalten. Hier formt die erste Garde Hollywoods eine rabenschwarze Collage aus Dummheit, Gier und eiskaltem Kalkül.

Führt die Industrie etwas Böses im Schilde, versteckt sie es gerne in etwas Langweiligem: »Apple könnte den kompletten ›Mein Kampf‹ von Adolf Hitler zwischen die Geschäftsbedingungen von iTunes schmuggeln - und die Nutzer würden fröhlich auf den ›Ich-akzeptiere‹-Button klicken.« Dieser von Satiriker John Oliver so treffend beschriebenen Strategie folgt auch die Finanzindustrie und wählt extra langweilige Bandwurmnamen wie »Synthetic Collateralized Debt Obligation« für ihre hochgiftigen Betrugs-Produkte. Als Gegengift wählt die herrlich zynische Finanzkrisen-Farce »The Big Short« ein pfiffiges Format: Regisseur Adam McKay lässt besonders unverschämt verschleierndes Banken-Sprech durch dralle Stripper, dumme Kasino-Blondchen oder hippe Sterneköche in die Umgangssprache übersetzen.

Dieses Dolmetschen ist ein zentrales Anliegen des Films. Denn es ist ja alles bekannt: Zahllose Male wurde beschrieben und bewiesen, wie sich vor 2008 eine kriminelle Elite des US-Finanzsektors in Zusammenarbeit mit einer unfähigen oder gekauften Politik extrem bereichert hat. Dafür nahm diese kleine Gruppe sehenden Auges eine weltweite Finanzkrise, Verarmung, Arbeits- und Obdachlosigkeit in Kauf.

Es zählt zu den bizarren Erfolgen einer weltweiten PR-Maschine, dass jene Verbrecher anschließend nicht bestraft wurden, dass das Finanzsystem bis auf unwirksame Kosmetik nicht verändert wurde und die Menschen es zuließen, dass die kriminellen Privatbanken mit Steuergeldern »gerettet« wurden - was weltweit die soziale Ungerechtigkeit verschärfte und auch die Euro-Schulden-Krise mit auslöste.

Und nicht nur das: Es ist den Banken und den mit ihnen verbündeten Medien sogar gelungen, dass nicht einmal eine ernstzunehmende Debatte über diesen Raubzug des Jahrhunderts und die möglichen Lehren daraus stattfindet. Wenn eine solche mediale Abwehrstrategie erst einmal erfolgreich war, braucht es oft eine völlig neue Übersetzung, um Verbrechen auch wieder als Verbrechen erkennbar zu machen, um den Strom der permanenten Ablenkung kurz anzuhalten.

Das schafft »The Big Short«. Auch wenn man schon zehn Finanzkrisen-Dokumentationen gesehen hat, ist es doch etwas ganz anderes, diese unglaubliche Geschichte beim elften Mal von der ersten Garde Hollywoods erzählt zu bekommen - noch dazu in dieser völlig überdrehten, höchst unterhaltsamen Form, die McKay gewählt hat. Denn hier werden keine Monologe vor Kuchendiagrammen gehalten. Hier spielen sich Christian Bale, Brad Pitt und der großartige Steve Carell gegenseitig an die Wand - in einer hysterischen, rabenschwarzen und quietschbunten Collage aus Dummheit, Gier und eiskaltem Kalkül.

Dieser Film wird also die Welt verändern. Kleiner Scherz: Überhaupt nichts wird er verändern. Statt dessen werden jene großen Medien, die das ganze Jahr dem Neoliberalismus huldigen, eine begeisterte Alibi-Kritik schreiben, und sagen: »Dieser Film könnte die Welt verändern.« Doch dann schreiben Sie hundert Artikel, die uns weiterhin in die Köpfe hämmern, dass nur radikale Traumtänzer an diesem »kritikwürdigen, aber unterm Strich unser aller Wohlstand vermehrenden System der ökonomischen Freiheit« zweifeln können. Dazu passt, dass ausgerechnet die »Welt« das Werk als »besten Film des Jahres« bezeichnet. Und der Kritiker der »New York Times« wollte nach dem Kinobesuch vor Wut gar »zur Waffe greifen« - ob er damit auf die Wall-Street-Gangster losgehen wollte oder auf deren enge Verbündete in seiner eigenen Zeitung, ist nicht bekannt.

Regisseur McKay beschreibt uns die US-Finanzbranche als Tummelplatz eitler Stümper und gefährlicher Psychopathen. Da ist es kein Wunder, dass auch einer der Antihelden des Films einen Sprung in der Schüssel hat: Michael Burry (Christian Bale), schlagzeugspielender Autist mit kurzen Hosen und Glasauge, ist der eigenwillige und sozial unkompatible Stratege eines Investmentfonds. Er tut das, was heute absolut aus der Mode ist: Er sieht einfach nur hin und überprüft die Fakten - abzüglich der ideologischen Mantras der Ratingagenturen, der Banker und der medialen Lohnschreiber. Was er sieht, lässt für ihn schon Jahre vor der Finanzkrise nur einen Schluss zu: Der US-Hypothekenmarkt steuert auf seinen unweigerlichen Zusammenbruch zu. Also setzt Burry ab 2005 Milliarden Dollar ein, um gegen den US-Häusermarkt zu wetten. Doch auch wenn er den richtigen Riecher hatte, so hatte er nicht mit der Hartnäckigkeit des Lügenkartells rund um die Wall Street gerechnet: An der jahrelangen und skrupellosen Leugnung des Unleugbaren durch Banker, Politiker, Journalisten und Ratingagenturen zerbricht Burry fast privat und beruflich.

Parallel zu Burry wittern noch zwei Nachwuchs-Broker und ihr Mentor (Brad Pitt) den Braten und platzieren ähnliche Wetten. Und auch Jared Vennett von der Deutschen Bank (schön schmierig: Ryan Gosling) will sein Insiderwissen vergolden. Das erzählerische und darstellerische Zentrum aber bildet Mark Baum (Steve Carell), ein Banker mit verschütteten Traumata und unbändigem Banker-Hass.

Kritisieren könnte man, dass die Entwicklung der Figuren hinter den politischen Anliegen McKays zurückbleibt, viele der zahlreichen Charaktere also eine gewisse Eindimensionalität behalten. Richtig nah kommt man aus dem illustren Darstellerkreis eigentlich nur Steve Carells Mark Baum. Carell allerdings zeigt mal wieder, welches Glück es war, dass der einstige Komödiant den Schritt ins ernste Fach gewagt hat. Er ist heute einer der bewegendsten Charakterdarsteller Hollywoods.

Die auf wahren Vorbildern basierenden Baum, Burry und Vennett sind alles andere als sympathisch, schließlich wetten sie aus egoistischen Motiven auf den Zusammenbruch der Weltwirtschaft. Was sie aber auszeichnet, ist ein von ökonomischen Ideologien ungetrübter Blick, eine seltene Unverwundbarkeit gegenüber einer neoliberalen Finanzmarkt-Propaganda, die bis heute auch viele kluge Menschen umnachtet. Diesen Blick - und die Begabung, die damit gewonnenen Erkenntnisse zugespitzt zu vermitteln - besitzt auch McKay. Außerdem hat der Regisseur den Mut, den ersten angemessen radikalen und empörten Hollywoodfilm über das Jahrhundertverbrechen »Subprime-Krise« zu drehen.

Indem McKay seine todernste Botschaft in grellem Trash verpackt, stellt er laut »Variety« einen »Spinat-Smoothie her, den er kunstvoll als Junkfood tarnt«. Das US-Branchenblatt schreibt weiter: »Es ist unmöglich, Adam McKay nicht für seine gnadenlose Willensbereitschaft zu bewundern, wirklich alles zu tun - außer vielleicht auf einem brennenden Motorrad durch einen Feuerring zu springen, während er Keynes zitiert - damit die Menschen dem Thema endlich Beachtung schenken.«

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