Außerhalb der Flüchtlingsnorm

Homo- und transsexuelle Flüchtlinge brauchen mehr Schutz, findet auch der Erzbischof

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Flüchtlinge aus dieser Gruppe erleben häufig Gewalt und Diskriminierung. Für sie gibt es zu wenig Schutz und Angebote.

Wenn homo- und transsexuelle Flüchtlinge durch Gewalt und Diskriminierung den Eindruck bekämen, sie hätten ja gleich in ihrem Heimatland bleiben können, »dann nimmt einem das den Atem weg«, sagt der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, über die Situation homo- und transsexueller Flüchtlinge, nachdem er am Donnerstag in den Räumen des Zentrums für Migranten, Lesben und Schwule (Miles) mit Betroffenen aus Syrien, Ägypten und Libanon gesprochen hat.

Die Schilderungen sind vielfältig. Sie wurden in den Unterkünften von anderen Flüchtlingen beleidigt, geschlagen und auch sexuell genötigt, ihnen wurden Betten oder Mahlzeiten verwehrt. Wachleute schlugen und Übersetzer beleidigten sie, auch Sachbearbeiter schnitten sie.

Selber aufmerksam geworden auf die Problematik war Koch im September, als ihn ein iranischer Gottesdienstbesucher ansprach und ihm erzählte, dass er wegen seiner sexuellen Orientierung aus seiner Heimat geflohen sei. »Ich werde meine Kontakte zur Politik und zu öffentlichen Stellen nutzen, um die Situation bewusster zu machen«, kündigt er an. Auch werde er überlegen, wie die Gemeinden besser helfen könnten.

Die Berliner Caritas-Direktorin Ulrike Costka fordert einen speziellen Ansprechpartner beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo). »Es müssten dort auch mehr als die gegenwärtig möglichen zehn Härtefälle pro Tag bearbeitet werden können«, sagt sie.

»Wir müssen immer wieder kurzfristig Privatunterkünfte organisieren, um die Leute aus den Heimen herauszubekommen«, berichtet Jouanna Hassoun von Miles. 50 Personen seien langfristig untergebracht worden, täglich meldeten sich drei bis sechs neue Flüchtlinge.

»Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da treffen sich die Kirche und wir«, sagt Sprecher Jörg Steinert vom Lesben und Schwulenverband (LSVD). Trotz allen Diskussionsbedarfs mit der katholischen Kirche sei dieses Gespräch wesentlich fruchtbarer gewesen als mit dem Berliner Integrationsbeauftragten Andreas Germershausen. »Es war ein sehr enttäuschendes Gespräch. Er sah sich nicht zuständig«, berichtet Steinert.

Unterdessen wurde bekannt, dass das von der Schwulenberatung Berlin seit April 2015 vorangetriebene Projekt einer speziellen Unterkunft für schwule, lesbische und transsexuelle Flüchtlinge wohl schon im Februar Realität wird.

»Wir wissen, dass es immer wieder zu Übergriffen kam und haben uns mit der Schwulenberatung beim LAGeSo sehr dafür eingesetzt, damit so eine Unterkunft eingerichtet werden kann«, sagt Christoph Lang, Sprecher der Integrationsverwaltung. Das Berliner Immobilienmanagement (BIM) sei in konkreten Verhandlungen mit einem Hauseigentümer. »Wir sind sehr zuversichtlich, dass das klappt.«

Bis zu 120 Personen werden in dem Haus mit mehreren großen Wohnungen unterkommen können. Dabei werden Lesben, Schwule und Transsexuelle zunächst nicht gemischt untergebracht. »Die Leute sind nicht nur körperlich, sondern auch psychisch auf der Flucht. Die müssen erstmal zur Ruhe kommen«, sagt Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung.

Die Resonanz auf die drei ausgeschriebenen Stellen sei sehr gut. »Bisher haben wir allerdings noch keinen Vertrag mit dem LAGeSo, aber da bin ich optimistisch«, sagt er.

Zwischen fünf und zehn Prozent aller Flüchtlinge seien schwul, lesbisch oder transsexuell, rechnet man bei der Schwulenberatung. »Wir dachten ursprünglich, dass sich das Haus nach Eröffnung langsam füllt, das glauben wir nicht mehr.« Mit dpa

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