So wie es ist, bleibt es nicht

Werkstattinszenierung von Brechts »Mutter« in der Schaubühne mit Studenten der Schauspielschule »Ernst Busch«

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.

»So wie es ist, bleibt es nicht« sagt in einer Bildprojektion auf der Rückwand der Bühne ein Student und Ensemblemitglied von Peter Kleinerts Inszenierung. Sein Gestus ist fragend, jedes Wort abwägend und auf seine Glaubwürdigkeit und Realitätsnähe prüfend. Dann lässt er noch den Brecht-Satz von den »Besiegten von heute«, die die »Sieger von morgen sein werden«, folgen. »Also können sie doch nicht wirklich besiegt worden sein«, sagt er darauf, nun mit eigenem Text. In ähnlich nachdenklicher Haltung sprechen seine Kommilitonen Sätze aus den berühmten Schlussworten des Brecht’schen Stücks »Die Mutter« nach und stellen, jeder auf seine Weise, Betrachtungen darüber an, was diese Texte mit ihrem Leben zu tun haben und mit einer Zeit, in der Veränderung so nötig erscheint. Schon im kargen Programmheft haben sie sich zu der erwarteten Wirkung ihrer Inszenierung geäußert. Dass sie die »breiten Massen«, »die Menschen ohne Theaterbildungsniveau« erreicht, hofft der Student Elvis Clausen und beweist damit, dass er Brechts »Anmerkungen zur Mutter« durchaus gelesen hat, in denen dieser der Behauptung widerspricht, das Stück sei nur »eine Sache der Kommunisten«.

Hier liegt der Ansatzpunkt der Inszenierung von Peter Kleinert. Neben die Geschichte vom Aufstieg der Pelagea Wlassowa von der gottgläubigen Witwe zur entschlossenen Kämpferin für die »dritte Sache« tritt der Grundvorgang von der Aneignung des Stücks durch heutige Jugendliche und das Nachdenken der Spieler über dessen Aktualität. Dazu hat der Regisseur das umfangreiche Textmaterial auf die Spieldauer von zwei Stunden und 15 Minuten gebracht und mit Ausnahme der berühmten Szene in der Kupfersammelstelle alle wesentlichen Szenen erhalten.

Der Beginn der szenischen Handlung zeigt die neue Gewichtung an. Nicht die Wlassowa wendet sich erklärend an das Publikum, den schlechten Gesundheitszustand des Sohnes und die erneute Lohnkürzung in den Werken des Herrn Suchlinow beklagend, sondern der Chor der Mitspieler. Dann aber kommt die Stunde der Ursula Werner als die Mutter. Ihre Wlassowa ist zunächst eine niedergedrückte, hoffnungslose Frau, die mit Verwunderung und Stolz feststellt, dass ihr Sohn Bücher liest, die mit Argwohn und Sorge beobachtet, wie er in der revolutionären Gruppe mitarbeitet und nur, um diesen und die Gruppe zu schützen, die Verteilung der Flugblätter übernimmt. Die folgende Übertölpelung des Pförtners wird zum schauspielerischen Glanzpunkt der Inszenierung. Im Einvernehmen mit dem Publikum stellt sie erleichtert fest, dass der ein Dicker und damit Fauler ist, redet den »besoffen« und genießt schließlich den listig erzwungenen Einlass.

Mit unbeirrbarer Sturheit verlangt die Mutter vom Lehrer, seinen Unterricht mehr an der Realität zu orientieren und mit umwerfenden Mutterwitz bringt sie den Gutsmetzger zur Umkehr. Am Ende ist sie erschöpft, wird aber vom Chor der Mitstreiter mit der Warnung »die Partei ist in Gefahr« empor gerissen und schreit mit letzter Kraft ihren Hass auf den Krieg heraus. Berührend die Schlussszene: Die Mitstreiter fallen von ihr ab, werfen die Textbücher resignierend mit den Worten »das geht niemals« zu Boden und die Mutter geht in sich zusammengesunken langsam nach vorn, wendet sich ans Publikum und spricht in einer Mischung aus Zweifel und stiller Zukunftshoffnung Brechts Sätze von der kommenden Veränderung der Verhältnisse.

Über weite Strecken aber wird die Handlungslinie vom Aufstieg der Mutter überdeckt von den Liedern und Appellen des Chores. Die Gestaltung der Chöre beweist das hohe Ausbildungsniveau der »Ernst-Busch«-Hochschule auf diesem Gebiet. Eine musikalische und interpretatorische Vielfalt fällt auf. Dem leise mitfühlenden »bürste den Rock« folgt das aufrüttelnde »suche den Ausweg«, dem euphorisch triumphierenden »du musst die Führung übernehmen«, das still trauernde Lied zum Tod des Sohnes Pawel, »als er aber zur Wand ging«.

Stilistisch wechselt der Gesang vom Protestsong zum feierlich weihevollen Choral, vom kollektiven Rap zu unterschiedlichen Pop- und Rockvarianten. Fast immer jedoch ist der Gesang keine staubtrockene Belehrung, sondern schlüssig mit der Handlung verknüpft. Das »Lied vom Flicken und dem ganzen Rock« wird zur wütenden Antwort auf die feige Kompromissbereitschaft der Arbeitervertreter und im Lied »Lob des Lernens« befeuern sich Singenden selbst zur Eroberung neuen Wissens. Ein Glanzpunkt, wenn das Lied mit der Aufforderung, den Staat von unten nach oben zu kehren in einen wahren Freudentaumel mündet und die Flugblätter als Konfetti niedergehen.

Einen das Stück aufbrechenden neuen Akzent setzen zwei Einschübe, die von der Lebenswirklichkeit und der Gedankenwelt der Studenten erzählen: Weil er mit der ihm zugewiesenen kleinen Rolle unzufrieden ist, fällt Elvis Clausen unvermittelt und mit pathetischem Furor in die Rolle eines Kleistschen Bühnenhelden. So will er beim Intendantenvorsprechen stärker auf sich aufmerksam machen, und Felix Witzlau liefert mit Goldumhang eine hintersinnige Nummer zum »Lob des Kapitalismus«.

Das Problem der Inszenierung: Den Studenten fehlt es noch altersbedingt an unverwechselbarer Individualität und Strahlkraft, wodurch die brillante Hauptdarstellerin keine überzeugende Gegenspieler hat. Der Lehrer (Thimo Meitner) bleibt ein daueraufgeregter Schreihals und die Hausbesitzerin sowie die von ihr gekündigte Mieterin erscheinen als rechthaberische Backfische. Insgesamt aber handelt es sich um einen eigenständigen Aneignungsversuch eines schwierigen Stücks.

Nächste Termine: 16., 17.1 und 5.-7.2.

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