Hauptstadt der unsicheren Arbeit

Arm, aber sexy? Laut DGB nutzen 80 Prozent der Berliner Betriebe prekäre Beschäftigungsverhältnisse

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 2 Min.
Leiharbeit, Teilzeitarbeit oder Minijob - für viele Berliner reicht das Geld trotz Arbeit nicht aus. Berliner Betriebe greifen gerne auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse zurück. Der DGB fordert die Politik zum Handeln.

»Wir haben damals nicht erwartet, dass es so schlimm werden kann.« Mit diesen Worten leitet Doro Zinke, Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, am Dienstagabend eine Konferenz zum Thema »Prekäre Beschäftigung in Berlin« ein. Ob Befristungen, Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Zeitarbeit, Minijobs, Niedriglohn oder Honorarverträge - Berlin sei nach wie vor »Hauptstadt der prekären Arbeit«, erklärt Zinke den im Schöneberger DGB-Haus zahlreich erschienenen Gewerkschaftern und Politikern.

In kaum einer anderen deutschen Großstadt seien beispielsweise so viele Beschäftigte auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen wie in Berlin, sagt die Vorsitzende mit Verweis auf eine Studie des DGB und der Senatsverwaltung für Arbeit von 2013. Auch in anderen Bereichen sei Berlin in der »Spitzengruppe« bei unsicheren und atypischen Beschäftigungsverhältnissen. Nach Zahlen des Berliner Betriebspanels sowie des Amtes für Statistik nutzen alleine 80 Prozent der Berliner Betriebe prekäre Beschäftigung. Fast die Hälfte aller Neueinstellungen waren 2013 befristet, der gesamte Befristungsanteil lag bei elf Prozent. Dazu gab es 2012 fast 218 000 Soloselbstständige - was eine Zunahme seit 2005 um mehr als ein Drittel bedeutet. Über die Hälfte aller in Berlin beschäftigten Frauen sind prekär beschäftigt, bei den Männern ist es etwa ein Viertel.

»Die Folgen sind nicht nur unzureichende materielle und soziale Absicherung, sondern auch eine Schwächung der Durchsetzungskraft auf betrieblicher und tariflicher Ebene«, sagt Claudia Weinkopf, stellvertretende Geschäftsführerin des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen. Das Ziel der Konferenz bestehe dabei nicht in der Verabschiedung von »Resolutionen«, sondern in der konkreten Auseinandersetzung mit den spezifischen Problemen der unterschiedlichen prekären Beschäftigungsverhältnisse und möglichen Lösungen, ermahnt Zinke. Acht Gewerkschafter aus verschiedenen Branchen berichten in Folge aus ihrem Arbeitsalltag und teilen Erfahrungen aus vergangenen Arbeitskämpfen. Besonders schwierig seien die Arbeitskonflikte in der Systemgastronomie, beklagt beispielsweise Attila Kecskés, der als Betriebsrat bei McDonald's tätig ist. Mitarbeiter würden maximal für zwei Jahre Teilzeitverträge bekommen und dann entlassen. »Wer schafft es da, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen?«, fragt er die Zuhörer. »Wir brauchen eine Solidarität - untereinander, branchenübergreifend und auch innerhalb des DGB«, sagt Kecskés unter Applaus.

Auf einem nächsten Kongress im April soll mit Politikern weiter diskutiert werden. »Das Thema ›prekäre Arbeit‹ muss einen angemessenen Stellenwert im Wahlkampf erhalten«, sagt Christian Hoßbach, stellvertretender Vorsitzender des DGB Berlin-Brandenburg. Die Forderungen seien bekannt: »Wir erwarten von der Landespolitik die Abschaffung von sachlosen Befristungen sowie ein Ende der Ausgliederungspolitik.«

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