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Der Albtraum vom Doggerwerk

4000 KZ-Häftlinge starben 1945 beim Stollenbau am fränkischen Berg Houbirg - jetzt gibt es eine Gedenkstätte

  • Klaus Tscharnke, Hersbruck
  • Lesedauer: 3 Min.
Kurz vor Kriegsende 1945 mussten 9000 KZ-Häftlinge in Franken die Hallen einer Flugzeugmotoren-Fabrik in den Berg Houbirg treiben. Seit Montag erinnern endlich Gedenkorte an diese Zeit.

Für Roger Caillè war die Schinderei nach gut neun Monaten beendet - er bezahlte dafür freilich einen hohen Preis: Als wieder eine Lore mit lockerem Felsmaterial durch den Stollen rollt, lässt er sich im März 1945 von einem Rad einen seiner Finger zerquetschen. »Ich war vollkommen erschöpft«, schildert der damals 22-Jährige später. »Darum habe ich einen Finger auf die Schiene gelegt. Den Rest erledigte die Lore .... Es war für mich vorbei.« In der Krankenstation wurde sein Finger amputiert. Im KZ Dachau wird er später von US-Soldaten befreit.

Caillè gehört zu jenen, die das Grauen vom Doggerwerk im Norden Bayerns überlebt haben. Das Doggerwerk - das war im Volksmund eine weiterverzweigte Stollenanlage, die von Juli 1944 an Häftlinge des KZ-Außenlagers im mittelfränkischen Hersbruck in den lockeren Sandstein des Bergs Houbirg oberhalb der Ortschaft Happurg trieben. Rund 9000 Häftlinge hatte die SS in den letzten Kriegstagen dafür eingesetzt. 4000 von ihnen erfroren, starben an Hunger oder an Erschöpfung. Seit Montag erinnert ein Doppelgedenkort an die Gräueltaten. Die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Kultusminister Ludwig Spaenle (beide CSU) hatten sich zur Eröffnung angesagt.

Untergebracht waren die Zwangsarbeiter damals in einem weitläufigen Barackenlager - erst inmitten von Hersbruck, später am südöstlichen Ortsrand der Kleinstadt. »Das war für die Bevölkerung sehr wahrnehmbar«, betonte Ulrich Fritz, bei der Stiftung Bayerische Gedenkstätten für die KZ-Außenlager zuständig.

Ob bei Gluthitze oder eisiger Kälte - der Zug von mehreren Tausend KZ-Häftlingen von ihrem Lager in Hersbruck zum viereinhalb Kilometer entfernten Doggerwerk gehörte zehn Monate lang zum Alltag in der Region. Auf 120 000 Quadratmetern sollte BMW künftig im Schutz der wuchtigen Erhebung des Houbirgs Motoren für Jagdflugzeuge bauen. Über 15 000 Quadratmeter Stollensystem kamen die Nazis aber nicht hinaus - dann war mit Ende des Zweiten Weltkriegs auch Schluss mit der Zwangsarbeit.

Der Ort, an dem Tausende KZ-Häftlinge zu Tode geschunden wurden, liegt bis heute dicht verborgen an einem bewaldeten Abhang. Nur ein steiler Pfad führt hinauf zum zubetonierten Stolleneingang. Der Gedanke daran, dass der Ort einst »einer der Schauplätze der Endstufen des Holocausts« war, wie es Ulrich Fritz formulierte, liegt irgendwie fern.

Das sollen jetzt gleich zwei miteinander korrespondierende Gedenkorte in der Region ändern: Unweit des Stolleneingangs stehen inzwischen auf einer Aussichtsplattform sechs Informationsstelen, die auf der Vorderseite an die Orte des Grauens, auf ihrer Rückseite an die Opfer erinnern - etwa den italienischen Zwangsarbeiter Vittore Bocchetta. »Der Schlamm ist Albtraum geworden. Wir sinken fast bis zum Knie ein, und wer hinfällt, riskiert langsam und bei vollem Bewusstsein zu ersticken«, tönt seine ins Deutsche übersetzte Schilderung aus dem Lautsprecher einer Audio-Station.

Der Blick von der Plattform geht über Happurg hinweg bis zum fünf Kilometer entfernten Hersbruck. Am Rande des ehemaligen Barackengeländes hat die Landesstiftung einen schwarzen Infokubus errichtet. Im Inneren der abgedunkelten »Blackbox« kontrastiert ein 360-Grad-Schwenk über die idyllische Vorjura-Landschaft mit einem darunter stehenden pechschwarzen Medientisch. Auf dem flachen Riesenbildschirm tauchen nach und nach die Namen aller 9000 KZ-Insassen auf; 90 davon sind beim Antippen mit Informationen über die Opfer hinterlegt. »Wir wollen damit die Opfer aus der Tiefe des Vergessens holen«, machte der Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Jörg Skriebeleit deutlich. dpa/nd

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