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Stadtentwicklung auf breiter Basis

Experten fordern eine integrative Persönlichkeit für das von der SPD beanspruchte Bauressort

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Neben dem Posten an der Spitze der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, der künftig von der SPD besetzt werden soll, ist auch unklar, wer Senatsbaudirektor oder -direktorin werden soll. In einem Offenen Brief fordern rund 300 namhafte Architekturbüros, stadtpolitische Initiativen und Wissenschaftler*innen, dass der Posten »in einem offenen und transparenten Verfahren besetzt wird, idealerweise mithilfe einer vom Senat einzusetzenden, unabhängigen Berufungskommission«.

Es sei »wichtig, dass diese Position mit einer integrativen Persönlichkeit besetzt wird, die nicht nur über eine große fachliche Kompetenz verfügt, sondern die auch bei allen relevanten stadtpolitischen Akteuren und Parteien Anerkennung findet«, heißt es in dem am Montag auf der Webseite der Fachzeitschrift »Arch+« veröffentlichten Schreiben. »Nur auf diese Weise kann eine Stadtentwicklung gelingen, die von breiten Mehrheiten mitgetragen wird«, diese Überzeugung teilen Persönlichkeiten der Szene wie Arno Brandlhuber, Louisa Hutton und Thomas Flierl sowie Initiativen wie Bizim Kiez.

Nicht unter den Erstunterzeichnenden findet sich Tobias Nöfer. Der Architekt und Vorstandsvorsitzende des Architekten- und Ingenieursvereins zu Berlin-Brandenburg wird inzwischen als ein möglicher Kandidat für den Senatorenposten gehandelt. Er hat auch für die SPD an den Koalitionsverhandlungen teilgenommen.

Auch Engelbert Lütke Daldrup hat bisher nicht unterzeichnet. Der ehemalige Flughafenchef, der den BER schließlich 2020 eröffnen konnte, wurde auch als möglicher neuer Stadtentwicklungssenator genannt. Allerdings hat der studierte Stadtplaner sich Ende September als Flughafenchef in den Ruhestand verabschiedet und in Interviews zu erkennen gegeben, dass er mehr Zeit für seine Frau und seinen Dackel haben wolle.

Während Lütke Daldrup in Berlin viel Lob für die geglückte Fertigstellung des BER erhielt, ist seine Rolle in Leipzig scheinbar nicht bis in die Hauptstadt gedrungen oder inzwischen vergessen. Von 1995 bis 2005 amtierte er als Stadtbaurat in der Messestadt. Dort prägte er den Begriff der »perforierten Stadt«. Das Konzept sah angesichts der nach der Wende rapide sinkenden und schließlich stagnierenden Bevölkerungsentwicklung den Abriss nicht nur von Plattenbauten am Stadtrand, sondern auch von Teilen der Leipziger Gründerzeitbebauung vor, selbst denkmalgeschützte Bauten wurden nicht verschont. Schon bald regte sich massiver Widerstand in der Stadt. Erstmals seit den Protesten von 1989, für die eine Triebfeder auch die oftmals ruinöse Substanz historischer Stadtkerne war, demonstrierten Menschen auf der Straße, darunter Prominente wie der Autor Erich Loest sowie der Maler Neo Rauch. 2004, ein Jahr nach der Veröffentlichung des Abrisskonzepts, gründete sich das Stadtforum Leipzig, 2005 ruderte Engelbert Lütke Daldrup zurück und versprach keine Abrisse mehr als Nacht-und-Nebel-Aktionen.

In Lütke Daldrups Leipziger Jahre fällt auch die gescheiterte Olympiabewerbung der Stadt für die Spiele 2012, die auch von Korruption überschattet war, vor allem durch ein Unternehmen, das zahlreiche sogenannte Cross-Border-Geschäfte mit der Stadt machte. Gebäude und Netze wurden verkauft und zurückgeleast, besichert wurden die Geschäfte mit hochriskanten Finanzwetten. Die Ermittlungen brachten auch seinen Chef, den damaligen Leipziger Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) in Bedrängnis, letztlich wurden die Vorwürfe gegen ihn fallen gelassen. Der holte den Stadtplaner schließlich 2006 als Staatssekretär mit in das Bundesbau- und -verkehrsministerium, das er bis 2009 leitete.

Im Gespräch als Stadtentwicklungssenatorin war auch die bisherige wohnungs- und baupolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Iris Spranger. Sie fiel bisher vor allem durch absolute Loyalität gegenüber der Führungsebene in Partei und Fraktion auf. Innensenator Andreas Geisel würde wohl gerne wieder zurück in das Ressort.

Anerkennung bei allen relevanten stadtpolitischen Akteuren dürfte keiner der Kandidaten finden.

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