Das Massaker von Ascq wird nun zur Strafsache

In dem französischen Dorf erschoss die SS im Jahr 1944 insgesamt 86 Zivilisten - Durchsuchungen bei ehemaligen Angehörigen der Terrortruppe

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Gegen drei SS-Männer, die 1944 an einem Massaker in Frankreich beteiligt gewesen sein sollen, ermittelt jetzt die Staatsanwaltschaft. Die Einheit, der die drei angehörten, hatte 86 Zivilisten ermordet.

Eine Detonation zerreißt in der Nacht zum 2. April 1944 die dörfliche Stille in Ascq, einem 3500 Einwohner zählenden Ort in Nordfrankreich unweit der Grenze zu Belgien. Auf der nahen Eisenbahnstrecke sind zwei Waggons durch eine Explosion aus den Schienen geworfen worden - eine Aktion von Widerständlern gegen die Besetzer aus Hitlerdeutschland. An Bord des Zuges: Angehörige der Waffen-SS.

Alle kommen mit dem Leben davon. Doch ihr Abteilungschef, Obersturmführer Walter Hauck, übt grausame Rache. Er lässt 86 männliche Dorfbewohner, 17 bis 75 Jahre alt, erschießen; 16 noch im Ort, darunter den Pfarrer. Weitere 70 Zivilisten müssen die Schienenstrecke entlanglaufen, während die Deutschen das Feuer eröffnen.

Als »Massaker von Ascq« ist dieser Mord in die Kriegsgeschichte eingegangen. Womöglich droht Tätern von damals nun ein Strafprozess. Aufgrund von Hinweisen eines Überlebenden aus Ascq hatte die Staatsanwaltschaft Dortmund schon vor einiger Zeit Ermittlungen eingeleitet. Zeugen wurden gesucht, gefunden und befragt, alte Unterlagen gesichtet. Schließlich reichten die Erkenntnisse aus, um fünf Durchsuchungsbeschlüsse auszustellen: für die Wohnungen ehemaliger SS-Männer.

Zwei von ihnen leben heute im Raum Dresden, einer in Nordstemmen, einem kleinen Ort im Süden Niedersachsens. Die Männer, alle um die 90 Jahre alt, gehörten seinerzeit zur SS-Panzerdivision »Hitlerjugend« und waren in Ascq eingesetzt. Auch in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen wurde durchsucht, die dort wohnenden früheren SS-Soldaten gelten jedoch nicht als Beschuldigte, es ging bei ihnen allein um das Sicherstellen von Beweismaterial. Wie es heißt, hatten die beiden Männer »umfangreiche Unterlagen« zu der in Ascq wütenden Einheit angelegt.

Ermittelt wird wegen Verdachts des Mordes und Beteiligung am Mord, erläuterte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel im Gespräch mit »nd«. Durchsucht worden seien die Wohnungen, um Hinweise auf das Tatgeschehen zu erhalten: persönliche Aufzeichnungen, Tagebücher, Dokumente über den Werdegang der Beschuldigten und über die SS-Einheit. Entdeckt worden sei »eine ganze Menge«, berichtet Brendel. Details dazu könne er noch nicht sagen, da das Gefundene zunächst an das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen gegangen ist, an die dort arbeitende »Ermittlungsgruppe Nationalsozialistische Gewaltverbrechen«.

Die SS-Panzerdivision »Hitlerjugend« setzte sich überwiegend aus sehr jungen Männern zusammen. Die meisten waren 1943, erst 17-jährig, aus der »HJ« in diese Einheit geworben worden. Aus ihr heraus wurden weitere Kriegsverbrechen begangen, so auch die Erschießung von mindestens 187 kanadischen Kriegsgefangenen. Für diese Tat war allerdings eine andere Teileinheit verantwortlich als die in Ascq eingesetzte Truppe. Doch auch gegen sie richten sich weitere Vorwürfe. Unter anderem wird ermittelt, ob ihr die Tötung eines US-amerikanischen Fallschirmspringers auf deutschem Boden zur Last gelegt werden kann.

Sturmführer Hauck, der den Schießbefehl in Ascq gegeben hatte und auch für ein Massaker an 26 Zivilisten im tschechischen Leskovice verantwortlich war, wurde nach Kriegsende in Frankreich verhaftet und zum Tode verurteilt. Die Strafe wurde jedoch in Gefängnis umgewandelt; schon 1957 war der Kriegsverbrecher wieder in Freiheit, 2006 starb er in Deutschland.

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