Schlüssel gibt den Ausschlag

Turnhallen als Notunterkünfte: Oft unerfahrene und unqualifizierte Betreiber

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Missstände in kurzfristig eingerichteten Flüchtlingsunterkünften ähneln sich von Einrichtung zu Einrichtung. Ein Problem ist die fehlende Schulung. Ein anderes die fehlende Erfahrung der Betreiber.

Eine Turnhalle voller Feldbetten. Weiße Laken, bunte Bettwäsche. Allein die Matratzen fehlen. So sah die Notunterkunft in der Geibelstraße in Kreuzberg aus, als sie im November letzten Jahres eröffnete. Erst Ende Februar erhielten die Geflüchteten Doppelstockbetten – mit Matratzen. Deren Vorteil ist es außerdem, dass sich mit ihnen Sichtschutzbarrieren bauen lassen, um wenigstens ein bisschen Privatsphäre zu erhalten.

Turnhallen in Flüchtlingsunterkünfte umzugestalten, ist schwierig. Betten müssen her, es gibt meist nur je eine Toilette für Männer und Frauen, keine Kochgelegenheiten, keine Waschmöglichkeiten. Erste öffentliche Empörung gab es bereits vor fast eineinhalb Jahren. An einem Donnerstag im Dezember 2014 bekamen die Johanniter einen Anruf, ob sie die Leitung der neuen Notunterkunft in einer Dahlemer Turnhalle übernehmen würden. Sie sagten zu, und am nächsten Tag standen die Flüchtlinge vor der Tür. Bis dahin war kaum Zeit, die Halle einzurichten. Die Medien berichteten über unmögliche Zustände: Es gab keine Waschmaschinen, keine Schließschränke, keine Privatsphäre, viel Lärm. Langsam besserte sich die Lage. Doch wie es 2014 in Dahlem aussah, kann man heute in vielen Turnhallen in ganz Berlin beobachten.

Denn heute sind es nicht acht Turnhallen, die aus einer Notsituation heraus Flüchtlinge beherbergen, sondern rund 50. Soziale Verbände betreiben die Notunterkünfte, aber auch einige – zum Teil ad hoc gegründete – Gewerbetreibende. Viele Betreiber sind neu in der Branche und haben keine Erfahrungen. Das ist ein Problem. »Jeder, der einen Schlüssel in der Hand halten kann, kann eine Notunterkunft betreiben«, sagt Katharina Müller vom Berliner Flüchtlingsrat. Wer schnell ist, habe bessere Chancen, vom Landesamt für Gesundheit und Soziales als Betreiber angenommen zu werden. »Wer innerhalb von fünf Stunden eine Unterkunft übernehmen kann, bekommt eher den Zuschlag als jemand, der fünf Tage braucht.«

Auch die Akzente GmbH war schnell. Das Unternehmen stellt normalerweise Sicherheitspersonal und bildet Fahrer von Geldtransporten und Hausmeister aus. Seit November betreibt eine Unterfirma zwei Notunterkünfte in Kreuzberger Schulturnhallen, eine davon in der Geibelstraße. Auch nach vier Monaten läuft dort noch nicht alles rund: Die Frauen haben nur eine Toilette, draußen sind Dixi-Klos aufgebaut. Im einzigen Dusch- und Waschraum waschen sie per Hand ihre Kleidung, weshalb der Boden dort dauernd nass und die Luft feucht ist. An den Haken in der Umkleide hängt tropfende Wäsche. Da es keine Spinte gibt, können die Bewohner keine Wertgegenstände wegschließen. Beschwerden gab es auch über mangelhafte und fehlende Reinigung und schlechte Essensversorgung.

Nachdem die Initiative »Kreuzberg hilft« auf die Missstände aufmerksam gemacht hatte, kamen Betreiber, Unterstützer und Vertreter des LAGeSo am 9. Februar zu einem Runden Tisch zusammen. Ralf Kuhirt, Geschäftsführer des Subunternehmens Akzente-Sozial gelobte Besserung: Innerhalb von 14 Tagen sollten die Mängel behoben sein. Einen Teil der Abmachung hielt er ein: Er schaffte Doppelstockbetten mit Matratzen an. Doch die übrigen Probleme bestehen weiter fort.

»Wer noch nie eine Notunterkunft betrieben hat, den begleiten wir im Prozess«, sagt der Sprecher der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Sascha Langenbach. Die Situation in Turnhallen sei grundsätzlich »absolut schwierig.« In der Folge kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern, Unterstützern, Sicherheitsleuten, Betreibern und Mitarbeitern. Zuletzt waren Wachmänner in einer Unterkunft in Karlshorst auf Flüchtlinge und den Heimleiter losgegangen, der schließlich mit einem Schädelbruch im Krankenhaus landete.

In der Geibelstraße werden die Probleme laut Senatsverwaltung nun angegangen. Die Menge des Essens sei nicht zu beanstanden. Über die Qualität sei der Betreiber mit Bewohnern und Caterer im Gespräch. Für abschließbare Schränke seien drei Angebote eingeholt und das Reinigungspersonal aufgestockt worden. »Wir haben den Eindruck, dass der Betreiber konstruktiv mitarbeitet.«

Für den Flüchtlingsrat ist das Problem die fehlende Qualifikation einiger Mitarbeiter in Notunterkünften. Jede Berufsgruppe sei dabei, auch KFZ-Mechaniker als Heimleiter. »Man bräuchte eine schnelle und gute Schulung sowie Weiterbildungen«, fordert Müller. Gut wäre auch eine praktische Handreichung zum Aufbau einer Notunterkunft. Auf Beschwerden gegen schwarze Schafe müssten Kontrollen folgen – und wenn notwendig auch Konsequenzen. Als letzte Maßnahme müsste sich das LAGeSo auch von einem Betreiber trennen. »Das wichtigste ist die bestmögliche Unterstützung der Menschen vor Ort.«

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